Auf das Leben
Dienstagnachmittag zum »Rose Bay House«, parkte auf der Straße und ging die Auffahrt hinauf. Sie war ziemlich steil - eine gute Methode, um die Bewohner am Ausgehen zu hindern, dachte ich. Als ich die Frau, die mir aufmachte - sie war plump, dunkelhaarig und hatte einen Oberlippenbart - nach Jack fragte, sagte sie: »Oh, Schack, ja«, und lächelte mich an. Ein Freund von Jack, so schien es, war auch ihr Freund. Dann führte sie mich zu einem Mann, der aufrecht und munter dasaß, obwohl er offensichtlich hochbetagt war. Als er das Gesicht hob und mir die Hand entgegenstreckte, lächelte er und zwinkerte mir zu. Er war ein echter Charmeur. Und ein Flirter, dachte ich, als er meiner Führerin zuwinkte.
Sein Körper war alt, aber er war es nicht, und wir unterhielten uns gut, der alte Mann aus dem Heim und der junge Rabbi. Wir fanden gleich einen Draht zueinander. Deshalb besuchte ich ihn auch danach noch einige Male, führte längere Gespräche mit ihm und erfuhr dabei sehr viel - über Jack, aber auch über sein Leben, seine Liebschaften, über die Liebe an sich, darüber, wie Frauen denken und wie sie denken, dass sie denken … denn Jack hielt sich für einen Experten auf diesem Gebiet, und wenn auch nur ein Viertel von dem stimmte, was er mir erzählte, dann war er das auch tatsächlich.
Ich machte mir keine Notizen bei unseren Gesprächen, aber wenn ich hinterher im Auto saß, notierte ich mir manchmal ein paar Sätze auf einem Block, bevor ich den Motor anließ. Als Gedächtnishilfe für mich selbst. Immerhin schien dieser Mann viel mehr zu wissen, als ich mit meiner behüteten Erziehung erlebt hatte. Und er genoss es, sein Wissen zu teilen - nicht, weil er damit prahlen wollte, wirklich nicht, diesen Eindruck hatte ich nie; aber er blickte gerne zurück, nicht vorwärts, und er war bereit, seine Erfahrungen mit mir zu teilen. Als Rabbi, der Schüler unterrichten soll, saß ich zu seinen Füßen, und er wurde mein Rebbe - zumindest auf diesem Gebiet. Man könnte sagen, dass wir Freunde wurden, trotz des Altersunterschieds und trotz der Tatsache, dass ich anfangs eigentlich gekommen war, um einen einsamen, alten Mann zu trösten, einen Mann, der in Wahrheit nicht im Geringsten einsam war. Ich musste feststellen, dass ich mich jedes Mal darauf freute, eine halbe Stunde lang mit ihm zusammenzusitzen.
»Ich habe die Frauen immer geliebt, Rabbi«, sagte Jack gleich am Anfang unserer Freundschaft. »Und genau deshalb wollte ich nicht mit nur einer einzigen leben. Ich habe sie alle geliebt, und ich wollte nie gezwungen sein, mit nur einer zusammen zu sein, treu zu sein, gefangen, gefesselt. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass es nie so gekommen ist.«
Aha. Das war also der Grund für seine Lebensweise. Hmmm. Oder war das eine Ausrede? Im Lauf der Zeit merkte ich jedoch, dass es der Wahrheit entsprach: Jack war ein Wanderer, er ging von einer zur anderen, aber - und das war wichtig - er tat es immer als Gentleman, hinterließ gute Erinnerungen und niemals das Gefühl, betrogen worden zu sein. Jedenfalls nach dem, was er mir erzählte. Mrs Preece sah das möglicherweise ganz anders.
Und Jack war wirklich ein guter Lehrer. Er konnte so wundervolle Sätze formulieren, dass es mich hinterher in den Fingern juckte, sie aufzuschreiben - auch wenn die Worte auf dem Papier nie so gut waren wie das, was ich gehört hatte. Deshalb kann ich hier auch nur Bruchstücke wiedergeben, nur Splitter von Jacks Lebens- und Liebesphilosophie. Ich hörte, ich lernte, ich notierte. Habe ich das Gelernte angewandt, fragen Sie sich vielleicht? Um ehrlich zu sein, kann ich das nicht sagen …
»Das Geheimnis ist, immer zu geben und sich über das zu freuen, was man zurückbekommt. Wahre Liebhaber geben nämlich. Sie können um etwas bitten, es einfordern und es möglicherweise auch erhalten, aber sie nehmen es sich nicht einfach. Und indem sie empfangen, geben sie auch - sie geben dem Schenkenden das Vergnügen, Liebe gegeben zu haben und liebend empfangen worden zu sein. Vergessen Sie diese Worte nie, Rabbi. Die Leute sagen leichthin, sie ›haben Sex‹, aber eigentlich ›machen sie Liebe‹. Liebe ist etwas, was man ›machen‹ muss, sie passiert nicht von alleine. Sie verlangt Anstrengung, manchmal richtig harte Arbeit, aber es lohnt sich, Rabbi, es lohnt sich. Man bekommt viel zurück.
Ich habe nie eine Frau ›genommen‹, nie mit einer ›Sex gehabt‹, und ich habe nie eine Frau ›aufgerissen‹. Ich
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