Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Sonnensysteme vor, in denen negativ geladene Elektronen um den positiven Kern kreisen. Eine kreisende Ladung ist aber auch ein elektrischer Strom, der ein Magnetfeld hervorruft. Atome können sich daher wie kleine Kompassnadeln in einem Magnetfeld ausrichten. Mit dessen Hilfe können wir beobachten, wie es in Atomen zugeht, sobald wir die farbigen Spektrallinien analysieren, die sie aussenden. Dabei fand man bald feine Doppellinien, die sich in der Farbe und damit in der Wellenlänge nur wenig unterschieden. Dies zu erklären gelang 1925 dem holländischen Studenten Goudsmit mit seinem Betreuer Uhlenbeck. Sie erkannten, dass der Drehimpuls eines Elektrons um einen Atomkern nicht nur das Vielfache des Wirkungsquantums h annehmen kann, sondern auch Werte wie ½h . Diese ungewöhnliche, aber richtige Idee hatte schon viel früher Werner Heisenberg im ersten Studiensemester gehabt. Er wurde jedoch von dem stets boshaften Wolfgang Pauli abgehalten, sie weiter zu verfolgen: 93 „Wolfgang meinte, ich würde auch noch Viertel- oder Achtelzahlen einführen und die ganze Quantenmechanik würde sich unter meinen Händen verkrümeln.“
TEILCHEN ZUM DURCHDREHEN: ELEKTRONEN
Kreist ein Elektron um den Atomkern, [30] so führt es zusätzlich eine Eigendrehung aus – ähnlich wie ein tanzendes Paar, bei dem die Dame eine Pirouette dreht. Diese Eigenrotation, Spin genannt, kann mit der oder gegen die Drehung des Paares erfolgen – und der Dame wird dabei mehr oder weniger schwindelig. Im Atom entspricht das Letztere einem Zustand niedrigerer Energie. Leider ist dieses Bild von der Eigendrehung des Elektrons falsch oder, um es genau zu sagen, die halbe Wahrheit. Denn das durch die Eigenrotation entstehende Magnetfeld wird dabei um die Hälfte unterschätzt. Schon 1915 hatte Einstein zusammen mit einem Experimentator nachgewiesen, dass der gewöhnliche mechanische Drehimpuls des Elektrons immer ein Magnetfeld erzeugt. Dieses stellte sich aber als doppelt so groß heraus wie ursprünglich von der Rotation der Ladung her erwartet; man spricht daher von einem ‚g-Faktor‘ 2. In der Natur des Elektrons muss es also etwas geben, was der anschaulichen Vorstellung einer Drehung im dreidimensionalen Raum zuwiderläuft. Aber es kommt noch schlimmer.
Jede echte Rotation hat eine Achse, die sich anscheinend zufällig im Raum ausrichten kann. Der Physiker Hans Gerlach erdachte mit seinem Kollegen Otto Stern, einem guten Bekannten von Einstein, einen genialen Versuch: Durch ein Magnetfeld wurden Elektronen nach der Richtung ihres Spins befragt. Das verwirrende Ergebnis: Sie orientierten sich entweder mit dem Feld oder genau gegen dieses, keine der unendlich vielen anderen Raumrichtungen mochten sie annehmen – offenbar sind Elektronen höchst kompromisslose Teilchen, die einem Magneten nur ‚ja‘ oder ‚nein‘ antworten, fast wie Paul Dirac, der sie so lange erforschte. [31]
Sich die Bahn des Elektrons um den Kern als Tanz mit Pirouette vorzustellen, ist noch in einem weiteren Punkt unrichtig. Denken wir an ein herumstehendes Paar, bei dem nur die Partnerin rotiert, und an ein anderes, das in gleicher Drehrichtung tanzt, aber mit einer gegensinnigen Pirouette der Partnerin: In der realen Welt sind das zwei ganz unterschiedliche Situationen – Atome jedoch benehmen sich dabei exakt gleich. Die Atomphysik hat dafür ein Rezept zum Rechnen, genannt Spin-Bahn-Kopplung, den Grund versteht man aber keineswegs.
In vielen Fällen suggeriert uns die Vorstellung von Teilchen unterschiedliche Szenarien, die jedoch von der Natur gleich behandelt werden. In Kenntnis der Atomphysik braucht man sich jedenfalls nicht zu wundern, dass Paare oft über die verschiedene Wahrnehmung der gleichen Situation diskutieren. Und überhaupt: Können Teilchen nicht einfach mal stillhalten? Offenbar nicht. Mit dem Spin besitzen alle Elementarteilchen diese eigentümliche Rotation und damit eine Achse, die jede Kugelsymmetrie zerstört. Das Ideal eines von allen Richtungen gleich aussehenden Elementarteilchens, wohl Inbegriff der Atomvorstellung Demokrits, existiert nicht. Die Natur mag keine Kugeln.
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Es bleibt die Frage, warum die Natur dieses spezielle Modell für das Elektron gewählt haben soll, anstatt mit einer punktförmigen Ladung zufrieden zu sein. 94 – Paul Dirac
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QUANTEN UND RELATIVITÄT GERATEN ERNEUT ANEINANDER
Viele Physiker behaupten, der Spin werde durch eine von Dirac gefundene Gleichung erklärt. Dieser betrachtete 1928 die
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