Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Hinsehen ergibt sich nun ein Problem: Eine Schwingung stellt ja so etwas wie eine natürliche Uhr dar, und nach der Speziellen Relativitätstheorie ticken bewegte Uhren langsamer, mithin müsste die Frequenz f bei Bewegung des Teilchens kleiner werden. Die gleiche Spezielle Relativitätstheorie verlangt aber, dass auf der rechten Seite der Gleichung die Masse m größer wird – die Gleichung kann also nicht ganz richtig sein. De Broglie versuchte, diesen Widerspruch zu begreifen, und entwickelte eine Reihe interessanter Gedankengänge, letztlich fand er jedoch nicht den richtigen Weg. Aber ich denke, dass man zu einer Lösung des Rätsels der Quantentheorie nur kommt, wenn man bis zu dieser Weggabelung zurückgeht, vor der de Broglie 1924 stand.
Eine in Folge der Quantentheorie entwickelte Fehlvorstellung lautet, dass die Bilder von Welle und Teilchen völlig unvereinbar sind. Das sind sie keineswegs. Inzwischen kennt man in der Festkörperphysik und Flüssigkeitsmechanik Situationen, in denen stationäre Schwingungszustände des Mediums sich in vielen Aspekten wie Teilchen benehmen [29] – sinnigerweise werden sie wavicles genannt. Zum Beispiel zeigen Silikontröpfchen auf einer Flüssigkeitsoberfläche ein ganz erstaunliches Verhalten, das Wellen- und Teilcheneigenschaften vereint. 92 Natürlich ist das noch keine Lösung aller Probleme der Quantenmechanik, insbesondere wissen wir über das ‚Medium‘, in dem die Wellen schwingen sollen, die Raumzeit, recht wenig. Aber es ist gut möglich, dass eine Wellentheorie, in der einzelne Schwingungszustände wie zum Beispiel wavicles Teilchen repräsentieren, eines Tages das merkwürdige Benehmen der Natur in den Quantenexperimenten befriedigend erklärt.
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Ich bleibe dabei, daß alles Wellen sind. – Erwin Schrödinger
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DAS LETZTE GEBOT: DU SOLLST NICHT NACHDENKEN
Stattdessen hat in der Physik die Denkblockade Einzug gehalten, man könne Quantenmechanik grundsätzlich nicht verstehen. Aus Resignation darüber entstand ein Pragmatismus, der sich mit Rechnungen begnügt und auf Reflexion verzichtet – eine Arbeitsweise, die inzwischen jedes vernünftige Maß überschritten hat. Die Physik spielt mit einer immer größeren Anzahl von Teilchen, die sich in einem wilden Tanz ineinander umwandeln können, wofür die Kopenhagener Interpretation oberflächlich Wahrscheinlichkeiten liefert. Was aber zum Beispiel bei der Paarvernichtung oder Paarerzeugung von Teilchen wirklich geschieht, davon hat man keine Ahnung, und deswegen wird in vorauseilender Beschränktheit die Frage für sinnlos erklärt. So verdrängt eine blinde Geschäftigkeit die fast hundert Jahre alten Probleme, über die man gründlich nachdenken müsste.
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Es ist einigermaßen hart, zu sehen, dass wir uns immer noch im Stadium der Wickelkinder befinden, und es ist nicht verwunderlich, daß sich die Kerle dagegen sträuben, es zuzugeben (auch ich selber). – Albert Einstein
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DIE NATUR MAG KEINE KUGELN: DAS RÄTSEL DES SPINS UND DIE FEIN GESPONNENEN ATOMSPEKTREN
„Zu selbstverständlich, um erwähnt zu werden“, schreibt Erwin Schrödinger in seinem Buch Die Natur und die Griechen , sei früher die Annahme gewesen, dass Teilchen identifizierbare Individuen sind. Sein philosophisches Interesse war keine Laune des Alters, es entsprang vielmehr der Einsicht, wie stark die Vorstellungen der Antike bis heute unser physikalisches Verständnis beeinflussen. Mit der Idee, es gäbe unteilbare Elemente der Natur, Demokrits Atome, nahm man automatisch an, man könne sie im Prinzip auch nummerieren oder mit Namen versehen. Leider ist dies falsch. Sind sich zwei Atome der gleichen Sorte erst mal nahegekommen, kann man nicht mehr herausfinden, welches welches ist – die Horrorvorstellung von Zwillingseltern wird hier Wirklichkeit. Schlimmer noch, Atome kann man sogar beliebig viele in ein Bett legen, ohne dass sie sich gegenseitig stören – als ob sie sich durchdringen. Für die Demonstration dieser sogenannten Bose-Einstein-Kondensation gab es 2001 den Nobelpreis, fast achtzig Jahre nachdem sie vorhergesagt worden war. Atome benehmen sich dabei in krassem Widerspruch zu unseren alltäglichen Vorstellungen; hier zeigt sich eine rätselhafte Eigenschaft, die mit der Natur des dreidimensionalen Raumes zu tun hat. Dazu müssen wir aber zunächst einen Blick auf die überraschenden Experimente der Atomphysik am Anfang des 20. Jahrhunderts werfen.
Um 1910 stellte man sich Atome wie kleine
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