Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
unbeirrt wie Schlafwandler. Soll man rufen „Wacht auf!“? Ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls spreche ich von jetzt an leise. – John Bell
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QUANTEN, WELLEN, TEILCHEN? DER UNVERSTANDENE TANZ DER ELEKTRONEN MIT LICHT
Die Grundidee der Quantenelektrodynamik klingt auf den ersten Blick nicht schlecht: Die guten alten elektrischen und magnetischen Felder, die für Kräfte verantwortlich waren, gibt es nicht mehr, sondern nur noch Teilchen, die alle Wechselwirkungen erklären. Wie funktioniert das? Personen, die sich bei einem Geschicklichkeitsspiel mit Strohballen bewerfen, spüren deren Impuls: Sie werden bei einem Treffer aus dem Gleichgewicht gebracht, aber auch beim Abwurf setzt man sich einem Rückstoß aus. Analog kann man zwei elektrische Ladungen mit gleichem Vorzeichen betrachten: Anstatt ihre gegenseitige Abstoßung durch ein elektrisches Feld zu beschreiben, stellt man sich vor, dass sie sich permanent mit Lichtquanten bewerfen. Das bekannte elektrische Kraftgesetz lässt sich tatsächlich so formulieren. Erstaunlich, weil die wichtigste Lektion der Quantenmechanik ja war, dass man das anschauliche Bild des Teilchens nicht mehr ganz ernst nehmen darf. Der Zufall in der Quantentheorie kommt dabei über die sogenannte Feinstrukturkonstante α = ≈ ins Spiel, die schon deswegen interessant ist, weil es sich um eine reine Zahl handelt, die aus Naturkonstanten gebildet wird. α spielt dabei die Rolle einer Wahrscheinlichkeit, mit der sich Elektronen bewerfen, und ist damit auch ein Maß für die Stärke der elektrischen Kraft.
In der ursprünglichen Quantenmechanik fanden die ‚Sprünge‘ der Elektronen zwischen den Atomschalen statt, was die Physiker nur widerstrebend hinnahmen. Weil bei so einem Übergang plötzlich ein Lichtquant erzeugt wird, spekulierte man, dass auch Elektronen außerhalb eines Atoms Lichtquanten aussenden können. Zudem muss man dem Lichtquant erlauben, aus seiner Energie Elektron-Positron-Paare zu erzeugen, die im nächsten Moment wieder zu Licht zerstrahlen – ein permanentes Spiel von Umwandlungen, das man am besten in schematischen Bildern beschreibt, die nach ihrem Urheber Feynman-Graphen genannt werden. [34] Die Quantenelektrodynamik ist damit eine Art rechnerische Fortentwicklung der Quantentheorie, die Fragen wie die nach der Natur von Wellen und Teilchen beiseite schiebt. Trotzdem setzte sie sich vollkommen durch. Warum?
PRÄZISION GEWINNT GEGEN LOGIK
Die beiden Physiker Lamb und Retherford fanden 1947 eine winzige Verschiebung in den Energiestufen des Wasserstoffatoms – es schien so, als ob die Ladung eines Atomkerns durch die Nähe eines herumschwirrenden Elektrons etwas abgeschirmt würde. Und tatsächlich gelang es, diese Abweichung mit den tanzenden Lichtteilchen der Quantenelektrodynamik zu berechnen, was 1965 mit dem Nobelpreis belohnt wurde. Inzwischen gibt es sogar einen noch genaueren Test: Im letzten Kapitel haben wir uns gewundert, dass der Spin des Elektrons ein doppelt so starkes Magnetfeld erzeugt wie erwartet. Eine beeindruckende Messung ergab einen sogar noch leicht höheren Faktor von 2,002319304 … Auch dieser wurde mit Hilfe der Quantenelektrodynamik berechnet, und deshalb gilt sie als sehr gut geprüfte Theorie der Physik.
Kann man also diese wundersame Weiterentwicklung der Quantentheorie zur Elektrodynamik uneingeschränkt feiern? Wenn Präzision allein eine gute Theorie kennzeichnet, wäre die Quantenelektrodynamik spitze. Wenn man auch Logik als Maßstab nimmt, nicht. Denn wie Feynman selbst einräumt, ist die Elektrodynamik der starken Felder unverstanden, ein Mangel, den auch die Quantenversion nicht beseitigen konnte – noch immer tauchen in der Theorie unendlich große Werte für die Energie auf, was völlig unsinnig ist. Man redet sich heraus, die unendliche elektromagnetische Masse des Elektrons sei durch eine unendlich große negative (!) ‚nackte‘ Masse zum Teil kompensiert – dergestalt, dass die Differenz genau die beobachteten 9,1 · 10 −31 kg ergibt. Verstehe das, wer will. Genannt wird das Ganze Renormierung, ein schöner Name für eine weder physikalisch noch mathematisch zu begründende Spitzfindigkeit.
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Wenn Ideen scheitern, erfinden die Leute Worte. – Martin H. Fischer
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Wenn man nun noch hört, dass dieses ‚nackte‘ Elektron nicht beobachtbar ist, bekommt man ähnliche Bauchschmerzen wie Paul Dirac: „Das ist unsinnige Mathematik. Man kann nicht unendliche Größen vernachlässigen,
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