Auf dem Jakobsweg
Tische, die Kellner schenkten Wein ein, und die Musikkapelle fing an zu spielen. Der Alte mit dem Popcorn wurde sofort von einem Schwärm kleiner Jungen umringt, die ihm übereifrig das Geld hinreichten und den Inhalt der Beutel auf den Boden schütteten. Die Nacht war ein Fest, die ganze Stadt war eingeladen, und alle fühlten sich wichtig.
Ein Fernsehteam steuerte auf uns zu, und Petrus verbarg sein Gesicht. Doch das Team ging an uns vorbei zu einem anderen Gast, der neben uns stand. Ich erkannte ihn sofort: Es war der Anführer der spanischen Fangemeinde bei der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko. Als das Interview vorüber war, wandte ich mich an ihn, sagte ihm, ich sei Brasilianer, und er forderte mit gespielter Empörung ein Tor ein, das ihnen beim ersten Spiel aberkannt worden war. Doch dann umarmte er mich und sagte, daß Brasilien in Zukunft wieder die besten Spieler der Welt haben würde.
»Wie schaffen Sie es, das Spiel zu sehen, obwohl Sie immer mit dem Rücken zum Fußballfeld stehen und die Fans anfeuern?« fragte ich. Das war mir damals bei den Übertragungen der Weltmeisterschaft aufgefallen.
»Meine größte Freude ist, wenn die Fans an den Sieg glauben.«
Und, als sei er auch ein Führer auf dem Weg nach Santiago, schloß er:
»Eine Fangemeinde ohne Glauben läßt eine Mannschaft ein Spiel mit sicherem Sieg verlieren.«
Dann wollten andere etwas von ihm. Doch ich dachte über seine Worte nach. Obwohl er niemals die Rota Jacobea gegangen war, wußte auch er, was es bedeutete, den guten Kampf zu kämpfen.
Ich entdeckte Petrus, den die Gegenwart des Fernsehteams sichtlich störte, in einer Ecke. Erst als die Scheinwerfer ausgingen, kam er zwischen den Bäumen des Platzes hervor und entspannte sich etwas. Wir baten um noch zwei Becher Wein, ich füllte mir einen Teller mit Schnittchen, und Petrus fand einen Tisch, an den wir uns zu den anderen Gästen setzen konnten.
Das Brautpaar schnitt einen riesigen Kuchen an. Wieder erschallten Hochrufe.
»Sie scheinen sich zu lieben«, dachte ich laut.
»Natürlich lieben sie sich«, sagte ein Herr im dunklen Anzug, der an unserem Tisch saß. »Haben Sie schon mal jemanden gesehen, der aus einem anderen Grund geheiratet hat?« Ich behielt die Antwort für mich, denn ich erinnerte mich an das, was Petrus über den Popcornverkäufer gesagt hatte. Doch mein Führer ließ diese Frage nicht einfach im Raum stehen. »Welche Liebe meinen Sie: Eros, Philos oder Agape?« Der Mann sah ihn verständnislos an. Petrus stand auf, schenkte sich Wein nach und forderte mich auf, mit ihm einen kleinen Spaziergang zu machen.
»Es gibt im Griechischen drei Worte für Liebe«, begann er. »Heute siehst du eine Manifestation des Eros, des Gefühls, das zwei Menschen füreinander empfinden.«
Die Brautleute lächelten in die Blitzlichter und wurden beglückwünscht.
»Es sieht so aus, als liebten sie einander«, sagte er und meinte damit die Brautleute. »Und sie glauben, daß Liebe etwas ist, das wächst. Bald schon werden sie allein ihr Leben gestalten, ein Haus einrichten und gemeinsam dasselbe Abenteuer leben. Das läßt die Liebe größer werden und macht sie würdig. Er wird seine Karriere in der Armee machen, sie kocht sicher gut und wird eine gute Hausfrau sein, weil sie von Kindesbeinen an dazu erzogen wurde. Sie wird ihm zur Seite stehen, die beiden werden Kinder haben und das Gefühl teilen, zusammen etwas aufzubauen, denn sie kämpfen den guten Kampf. Daher werden sie, bei allen Schwierigkeiten, die auftreten könnten, immer glücklich sein.
Die Geschichte, die ich dir erzähle, könnte allerdings auch ganz anders verlaufen. Er könnte anfangen zu fühlen, daß er nicht frei genug ist, allen Eros, alle die Liebe zu zeigen, die er für andere Frauen empfindet. Sie könnte anfangen zu fühlen, daß sie eine Karriere und ein glänzendes Leben geopfert hat, um dem Mann zur Seite zu stehen. So könnte jeder von den beiden, anstatt das Gefühl zu haben, etwas gemeinsam geschaffen zu haben, sich um ihre Art zu lieben beraubt fühlen. Eros, der Geist, der sie vereint, wird nur seine schlechte Seite zeigen. Und das, was Gott dem Menschen als edelstes Gefühl bestimmt hat, wird am Ende nur Quelle des Hasses und der Zerstörung.«
Ich blickte um mich. Eros war in mehreren Paaren gegenwärtig. Das Exerzitium des Wassers hatte die Sprache meines Herzens geweckt, und ich sah jetzt die Menschen mit anderen Augen an. Vielleicht waren es auch die Tage der Einsamkeit im Wald, vielleicht
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