Auf dem Jakobsweg
Gesicht, weil er mit Philos verbunden ist.«
»Was ist Philos?«
»Philos ist Liebe in der Form der Freundschaft. Es ist das, was ich für dich und die anderen empfinde. Wenn die Flamme des Eros nicht mehr strahlen kann, dann ist es Philos, der die Paare zusammenhält.«
»Und Agape?«
»Der Moment ist noch nicht gekommen, um über Agape zu sprechen. Agape ist im Eros und im Philos, doch das sind nur Worte. Wir wollen uns jetzt amüsieren, ohne die alles verschlingende Liebe zu erwähnen.« Und Petrus goß noch mehr Wein in seinen Plastikbecher.
Die Fröhlichkeit ringsum wirkte ansteckend. Petrus schwankte ein bißchen, und anfangs war ich etwas verwundert. Doch ich erinnerte mich daran, daß er eines Abends gesagt hatte, die Praktiken des R.A.M. hätten nur dann einen Sinn, wenn sie von einem gewöhnlichen Menschen durchgeführt werden könnten. Petrus war an jenem Abend ein Mensch wie alle anderen. Er war Kamerad, Freund, schlug den Leuten auf den Rücken und unterhielt sich mit jedem, der ihm zuhörte. Bald schwankte er derart, daß ich ihn am Arm festhalten und ins Hotel bringen mußte.
Auf dem Weg dorthin wurde mir bewußt, daß ich meinen Führer führte und daß Petrus während unserer Wanderung kein einziges Mal versucht hatte, weiser, frommer oder besser als ich zu sein. Er hatte mir nur seine Erfahrung mit den Praktiken der R.A.M. vermittelt. Doch sonst hatte er immer darauf geachtet zu zeigen, daß er ein Mensch wie jeder andere war, ein Mensch, der Eros, Philos und Agape empfand.
Das gab mir Kraft. Der Jakobsweg war der Weg der ganz gewöhnlichen Menschen.
Die Begeisterung
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.«
Petrus zitierte wieder den heiligen Paulus. Für ihn war der Apostel der große okkulte Deuter der Botschaft Christi. Wir angelten an jenem Nachmittag, nachdem wir den ganzen Vormittag gewandert waren. Kein Fisch biß an, doch meinen Führer kümmerte das nicht. Ihm zufolge war Angeln so etwas wie ein Gleichnis für die Beziehung des Menschen zur Welt: Wir wissen, was wir wollen, und werden es erhalten, wenn wir nicht lockerlassen, doch die Zeit, die wir brauchen werden, um an unser Ziel zu gelangen, hängt von Gottes Hilfe ab.
»Es ist immer gut, etwas Langsames zu tun, bevor man im Leben eine wichtige Entscheidung trifft«, sagte er. »Die ZenMönche setzen sich hin und hören den Felsen beim Wachsen zu. Ich angle lieber.«
Doch zu dieser Stunde des Tages und in der Hitze scherten sich sogar die faulen rötlichen Fische unmittelbar unter der Wasseroberfläche nicht um den Angelhaken. Man hätte die Angelschnur auch außerhalb des Wassers halten können, es hätte keinen Unterschied gemacht. Ich beschloß, zu passen und einen kleinen Spaziergang in der Umgebung zu machen. Ich kam bis zu einem alten verlassenen Friedhof in der Nähe des Flusses mit einem unverhältnismäßig großen Tor. Als ich zu Petrus zurückkam, fragte ich ihn über den Friedhof aus. »Das Tor gehörte zu einem alten Pilgerhospiz«, sagte er. »Doch es wurde aufgegeben, und später hatte jemand die Idee, die Fassade zu nutzen und dahinter den Friedhof zu bauen.« »Der auch aufgegeben wurde.«
»Ja, genau. Die Dinge in diesem Leben sind nur von kurzer Dauer.«
Ich sagte, er habe vergangene Nacht sehr hart über die Leute auf dem Fest geurteilt. Petrus war erstaunt. Er meinte, wir hätten doch nur Erfahrungen ausgetauscht, die wir beide in unserem Leben schon gemacht hätten.
»Alle sind wir auf der Suche nach Eros, und wenn Eros zu Philos werden will, empfinden wir die Liebe als unnütz. Ohne zu begreifen, daß Philos uns zu einer höheren Form der Liebe führen will, zu Agape.«
»Erzähl mir mehr über Agape«, bat ich ihn.
Petrus antwortete, daß man über Agape nicht reden solle, sie müsse gelebt werden. Möglicherweise könne er mir noch an diesem Abend eines der Gesichter der Agape zeigen. Doch dazu müsse sich das Universum verhalten wie bei der Übung des Angelns: Es müsse das Seinige für einen guten Ausgang tun.
»Der Bote kann dir helfen, doch es gibt etwas, das liegt außerhalb seines Einflußbereiches, außerhalb deiner Wünsche und deiner selbst.«
»Und was ist das?«
»Der Funke Gottes. Das, was die Menschen gemeinhin Glück
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