Auf dem Jakobsweg
waren es sogar die Praktiken der R.A.M. Doch ich konnte die Gegenwart des guten Eros und des schlechten Eros spüren, genau so wie Petrus sie beschrieben hatte. »Schau, das ist doch eigenartig«, meinte Petrus, dem genau dasselbe wie mir auffiel. »Ob es nun die gute oder die schlechte Seite des Eros ist, sie ist bei keinem Menschen gleich. Genau wie die Sterne, von denen ich vorher gesprochen habe. Und niemand kann Eros entgehen. Alle brauchen ihn, obwohl Eros bewirkt, daß wir uns fern von der Welt in unsere Einsamkeit eingeschlossen fühlen.«
Die Musikkapelle stimmte einen Walzer an. Die Leute begaben sich zu dem kleinen zementierten Platz vor dem Musikpavillon und fingen an zu tanzen. Der Alkohol begann seine Wirkung zu zeigen, und alle waren jetzt verschwitzt, fröhlich und ausgelassen. Mir fiel ein Mädchen in einem blauen Kleid auf, das die ganze Hochzeitsfeier lang nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben schien, weil es mit jemandem tanzen wollte, von dessen Umarmung es träumte, seit es kein kleines Kind mehr war. Sein Blick verfolgte einen gutgekleideten jungen Mann in hellem Anzug, der mit einer Gruppe von Freunden zusammenstand und sich angeregt mit ihnen unterhielt. Sie hatten nicht bemerkt, daß der Walzer angefangen hatte und wenige Meter von ihnen ein junges Mädchen in blauem Kleid stand, das einen von ihnen beharrlich anschaute.
Ich dachte an das Leben in Kleinstädten, an Mädchenträume von Heiraten mit dem schon in der Kindheit erwählten Jungen. Das Mädchen bemerkte, daß ich es ansah, und verließ die Tanzfläche. Erst da suchte der Junge es mit dem Blick. Sobald er sah, daß es bei den anderen Mädchen stand, fuhr er fort, angeregt mit seinen Freunden zu reden.
Ich wies Petrus auf die beiden hin. Er beobachtete eine Zeitlang das Augenspiel und wandte sich dann wieder seinem Wein zu. »Sie verhalten sich so, als wäre es eine Schande zu zeigen, daß sie sich lieben«, war sein einziger Kommentar.
Ein Mädchen stand vor uns und starrte uns an. Es mochte etwa halb so alt sein wie wir. Petrus hob sein Glas und prostete ihm zu. Das Mädchen lächelte verschämt, zeigte, als wollte es sich dafür entschuldigen, daß es nicht naher kam, auf seine Eltern. »Das ist die schöne Seite der Liebe«, sagte er. »Die Liebe, die herausfordert, die Liebe zu zwei viel älteren Fremden, die von weither gekommen sind und morgen in eine Welt weiterziehen werden, die auch es gern durchstreifen würde.«
Ich merkte an Petrus' Stimme, daß ihm der Wein zu Kopfe gestiegen war.
»Heute werden wir über die Liebe sprechen!« sagte mein Führer, und seine Stimme war etwas lauter als gewöhnlich. »Wir werden über diese wahre Liebe sprechen, die stetig wächst, die Welt bewegt und den Menschen weise macht!« Eine gutgekleidete Frau, die sich in unserer Nähe aufhielt, schien das Fest nicht zu beachten. Sie ging von einem Tisch zum anderen und sammelte Glaser, Teller und Besteck ein. »Achte auf die Frau dort«, sagte Petrus. »Sie hört nicht auf, Ordnung zu schaffen. Der Eros hat eben viele Gesichter, und dieses ist eines davon. Es ist die enttäuschte Liebe, die sich im Unglück anderer verwirklicht. Sie wird den Bräutigam und die Braut küssen, doch in ihrem Inneren wird sie sich sagen, daß die beiden nicht füreinander geschaffen sind. Sie versucht die Welt zu ordnen, weil sie selbst in Unordnung ist. Und dort« dabei zeigte er auf ein anderes Paar, bei dem die Frau stark geschminkt und sorgfältig frisiert war - »dort siehst du den angenommenen Eros. Die gesellschaftliche Liebe, die bar jeden Gefühls ist. Diese Frau hat ihre Rolle angenommen und die Verbindung zur Welt und zum guten Kampf abgebrochen.« »Du klingst sehr bitter, Petrus. Ist hier denn niemand, der deiner Kritik entgeht?«
»Doch, natürlich. Das junge Mädchen, das uns angesehen hat. Die jungen Leute, die tanzen und nur den guten Eros kennen. Wenn sie sich nicht von Heuchelei in der Liebe anstecken lassen, die die Generation vor ihnen beherrscht hat, wird sich die Welt ganz sicher verändern.«
Er wies auf ein altes Ehepaar, das an einem Tisch saß. »Die beiden auch. Sie haben sich von der Heuchelei nicht anstecken lassen wie viele andere. Sie scheinen Bauern zu sein. Hunger und Not haben sie gezwungen, zusammenzuhalten und zusammen zu arbeiten. Sie haben, ohne je etwas von der R.A.M. gehört zu haben, die Praktiken gelernt, die du jetzt lernst. Weil sie die Kraft der Liebe aus der Arbeit schöpfen. Hier zeigt Eros sein schönstes
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