Auf dem Jakobsweg
Dunkelheit als diese gegeben.
Die persönlichen Schwächen
Wir befanden uns auf einem riesigen Feld, einem flachen Weizenfeld, das sich bis zum Horizont erstreckte. Nur eine mittelalterliche, von einem Kreuz gekrönte Säule, die den Pilgern als Wegweiser diente, unterbrach die Gleichförmigkeit der Landschaft. Als wir bei der Säule angelangt waren, ließ Petrus seinen Rucksack auf die Erde gleiten und kniete nieder. »Wir wollen beten. Wir wollen um das einzige bitten, was einen Pilger besiegt, wenn er sein Schwert findet: seine persönlichen Schwächen. Denn mag er auch von den großen Meistern noch so gut lernen, wie er die Klinge zu führen hat, eine seiner Hände wird immer sein ärgster Feind sein. Laß uns darum bitten, daß du dein Schwert, so du es findest, immer mit der Hand hältst, die dir keine Schande macht.«
Es war zwei Uhr nachmittags. Es herrschte vollkommene Stille, und Petrus fuhr fort:
»Herr, erbarme Dich unser, denn wir sind Pilger auf dem Jakobsweg, und das kann eine Schwäche sein. Mach mit Deiner unendlichen Barmherzigkeit, daß wir niemals das Wissen gegen uns selbst wenden.
Erbarme Dich derer, die Selbstmitleid fühlen und sich selbst für gut und vom Leben ungerecht behandelt fühlen, weil sie nicht verdient haben, was ihnen geschah - denn diesen wird es nie gelingen, den guten Kampf zu kämpfen, Und erbarme Dich derer, die sich selbst gegenüber grausam sind und nur im eigenen Handeln Böses sehen und sich für die Ungerechtigkeit der Welt verantwortlich machen. Denn diese kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Sogar jedes einzelne deiner Haare ist gezählt.<
Erbarme Dich derer, die herrschen, und derer, die zu viele Stunden arbeiten und sich in der Aussicht auf einen Sonntag aufopfern, an dem alles geschlossen ist und man nirgendwo hingehen kann. Doch erbarme Dich vor allem derer, die ihr Werk heiligen und die Grenzen ihrer eigenen Verrücktheit überschreiten und schließlich verschuldet sind oder von ihren eigenen Brüdern ans Kreuz geschlagen werden. Denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Seid klug wie die Schlange und sanft wie die Taube.<
Erbarme Dich, denn der Mensch will die Welt besiegen und niemals den guten Kampf gegen sich selber austragen. Erbarme Dich auch derer, die diesen guten Kampf gewonnen haben und heute an den Ecken und den Bars des Lebens hocken, weil sie die Welt nicht besiegen konnten. Denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Wer meinen Worten folgt, muß sein Haus auf Fels bauen.<
Erbarme Dich derer, die Angst haben, die Feder, den Pinsel, das Instrument, das Werkzeug zu halten, weil sie glauben, andere hätten dies zuvor schon besser als sie selber gemacht, und sich daher nicht würdig fühlen, in das wunderbare Haus der Kunst zu treten. Erbarme Dich vor allem derer, die die Feder, den Pinsel, das Instrument, das Werkzeug gehalten haben und die Inspiration dazu mißbraucht haben zu glauben, sie seien besser als andere. Denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Nichts ist verborgen, das nicht offenbart wird, und nichts wird im Verborgenen getan, was nicht entdeckt wird.< Erbarme Dich derer, die essen und trinken und prassen, jedoch in ihrer Prasserei unglücklich und einsam sind. Doch erbarme Dich vor allem derer, die fasten, tadeln, verbieten und sich als Heilige fühlen und deren Namen auf den Plätzen verkündigen. Denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Wenn ich Zeugnis über mich selbst ablege, dann ist dieses Zeugnis nicht wahrhaftig.<
Erbarme Dich derer, die den Tod fürchten und die vielen Königreiche, die dahingegangen sind und die vielen Tode, die sie schon gestorben sind, nicht kennen und unglücklich sind, weil sie glauben, daß eines Tages alles zu Ende sein wird. Doch erbarme Dich vor allem derer, die schon viele Tode kennengelernt haben und sich heute für unsterblich halten, denn sie kannten Dem Gesetz nicht, das da lautet: >Wer nicht neu geboren wird, wird Gottes Reich nicht sehen können.< Erbarme Dich derer, die sich um des Seidenbandes der Liebe willen versklaven und sich für den Herrn eines anderen halten und Eifersucht fühlen und sich vergiften und sich quälen, weil sie nicht sehen können, daß die Liebe sich ändert wie der Wind und alle Dinge. Doch erbarme Dich vor allem derer, die aus Angst vor der Liebe vergehen und die Liebe im Namen einer höheren Liebe, die sie nicht kennen, abweisen, denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Wer von diesem Wasser trinkt, den wird nie
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