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Auf dem Jakobsweg

Auf dem Jakobsweg

Titel: Auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Coelho
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das Ritual der >Tradition< eingetaucht. Allmählich veränderte sich die Musik in mir, die Bewegungen wurden heftiger, und ich fiel in eine tiefe Ekstase. Alles um mich herum war dunkel, und mein Körper wurde wie schwerelos. Ich durchstreifte die blühenden Wiesen von Aghata und traf dort meinen Großvater und einen Onkel, der meine Kindheit entscheidend geprägt hatte. Ich spürte, wie die Zeit in ihrem Spinnennetz aus Quadraten vibrierte, in denen alle Straßen zusammenlaufen und ineinander aufgehen und einander ähnlich werden, obwohl sie so unterschiedlich sind. Irgendwann sah ich den Australier blitzschnell vorüberziehen: Sein Körper war von einem roten Glanz überzogen.
Die nächste Vision war ein Kelch und ein Hostienteller, und dieses Bild blieb sehr lange, als wollte es mir etwas sagen. Ich vermochte es nicht zu deuten, obwohl die Botschaft sicher mit meinem Schwert zu tun hatte. Dann vermeinte ich das Antlitz der R.A.M. zu sehen, das aus der Dunkelheit hervortrat, als Kelch und Hostienteller verschwanden. Doch als es sich näherte, war es nur das Antlitz von N., dem angerufenen Geist und meinem alten Bekannten. Wir nahmen keinen Kontakt zueinander auf, und sein Antlitz löste sich in der wabernden Dunkelheit auf.
Ich weiß nicht, wie lange wir getanzt haben. Plötzlich hörte ich eine Stimme:
»JAHWE, TETRAGRAMMATON...«, doch ich wollte nicht aus der Trance erwachen. Die Stimme aber rief beharrlich: »JAHWE, TETRAGRAMMATON...«, und ich erkannte die Stimme des Hohenpriesters, die uns aus der Trance zurückholte.
Widerstrebend kehrte ich zur Erde zurück. Befand mich erneut im magischen Kreis in der uralten Templerburg.
Wir Pilger sahen einander an. Der jähe Schnitt schien allen mißfallen zu haben. Ich konnte mich kaum zurückhalten, dem Australier zu sagen, daß ich ihn gesehen hatte. Als ich ihn ansah, merkte ich, daß Worte überflüssig waren: Er hatte mich auch gesehen.
Die Ritter stellten sich im Kreis um uns herum auf und schlugen mit den Schwertern auf die Schilde, was einen ohrenbetäubenden Lärm hervorrief. Dann ersuchte der Hohepriester den Geist, sich friedlich zurückzuziehen: »Möge der Friede Gottes immer zwischen dir und mir herrschen. Amen.«
Der Kreis wurde aufgelöst, und wir knieten alle mit gesenktem Kopf nieder. Ein Ritter betete sieben Vaterunser und sieben Ave-Marias mit uns. Der Hohepriester fügte ein Glaubensbekenntnis hinzu, indem er sagte, Unsere Heilige Mutter von Medjugorje, die seit 1982 in Jugoslawien erscheint, habe es so bestimmt. Wir begannen nun mit einem christlichen Ritual.
»Andrew, erhebe dich und trete vor«, befahl der Hohepriester. Der Australier ging zum ehemaligen Altar, wo die sieben Ritter inzwischen wieder Aufstellung genommen hatten.
Ein weiterer Ritter, der sein Führer sein mußte, sagte: »Bruder, suchst du die Gemeinschaft des Hauses und die barmherzigen Anordnungen, die in ihm herrschen?« Der Australier bejahte. Und mir wurde klar, welches christliche Ritual wir gerade erlebten: die Initiation eines Templers.
»Ich bin bereit, alles im Namen Gottes zu ertragen, und ich möchte Diener des Hauses sein für den Rest meiner Tage.« Es folgten noch viele weitere rituelle Fragen und Ermahnungen. Einige davon machten in der heutigen Welt keinerlei Sinn mehr. Andere betrafen tiefe Frömmigkeit und Liebe. Andrew beantwortete alle mit gesenktem Kopf und blieb standhaft dabei, daß er in die Gemeinschaft des Hauses eintreten wolle. Schließlich wandte sich sein Führer an den Hohenpriester und wiederholte alle Antworten, die ihm der Australier gegeben hatte.
Zum Schluß näherte sich sein Meister feierlich und übergab ihm sein Schwert.
Eine Glocke läutete, und ihr Klang hallte wider von den Wänden der alten Burg. Wir senkten alle den Kopf, und die Ritter entschwanden unseren Blicken. Als wir den Kopf wieder hoben, waren wir nur noch zehn, denn der Australier war mit den Rittern zum rituellen Bankett gegangen.
Wir zogen uns wieder um und verabschiedeten uns ohne viel Umstände voneinander. Der Tanz mußte lange gedauert haben, denn es tagte bereits. Unendliche Einsamkeit erfüllte meine Seele.
Ich war neidisch auf den Australier, der sein Schwert erhalten und sein Ziel erreicht hatte. Ich selber war ganz auf mich gestellt, ohne das Geheimnis meines Schwertes noch seinen Standort zu kennen.
Als ich kurz vor Tagesanbruch aus der Burg trat, läutete die Glocke noch immer. Sie gehörte einer nahen Kirche und rief die Gläubigen zur Frühmesse. Die Stadt

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