Auf dem Maniototo - Roman
einen Schatten oder eine Nachbildung gab. Du wirst sagen, dass ein solcher Traum anmaßend, ehrgeizig und unoriginell ist (und natürlich ist er das auch), dass das, was ich zu tun hoffe, Zeit- und Geldverschwendung ist und möglicherweise Kummer für meine Familie und für diejenigen mit sich bringen wird, die sich verpflichtet fühlen würden, mich zu retten, wenn ich mir irgendwo mitten in der Wüste Gobi oder der Sahara meine Niederlage eingestehen muss. Aber gibt es nicht immer Retter, die auf eine Gelegenheit zu retten warten? Und schwanken die Geretteten nicht immer zwischen der Liebe zu den Rettern und dem Hass auf sie?
Auch ich werde ein Buch schreiben. Noch ein Buch. Ich weiß, dass unser Zeitalter dazu getrieben, ja erpresst worden ist, das Zeitalter der Erklärungen zu werden. Ich habe das Gefühl, dass sich die Gebildeten schon fast wegerklärt haben. Ich verwende den Ausdruck Gebildete als Faktum, nicht als Beurteilung. Anfangs – du erinnerst dich, Alice Thumb – war es unsere Angst, unser Unbehagen, das wegerklärt wurde, aber inzwischen sind wir selbst schon am Verschwinden. Unsere Erklärungen haben die gleiche Wirkung wie das Insektenvertilgungsmittel, welches das Insekt zu einer bloßen Hülle zerfallen lässt.
Und doch bin auch ich in diesem Augenblick am Erklären, und wir sind dabei, unsere Geschichte zu erzählen; in der Welt der Gebildeten nimmt das kein Ende, man wird weiterhin erklären und erzählen und die Zungenblüte züchten und bewundern, die ‹Tag für Tag Sprache von sich gibt und Nacht für Nacht Wissen kundtut›.
Weshalb sind wir dann alle so geschwächt von der Frucht, die diese Zungenblüte trägt?»
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«Ich bin der alte Mann unter deinen Gästen, Alice Thumb», sagte Theo. «Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich meine sonnengebräunte Haut, meine glänzenden weißen Locken, meinen schönen athletischen Körper, und dir wird meine Gewohnheit auffallen, irgendeine Bewegung oder Geste zu machen, um die Aufmerksamkeit auf meinen Körper zu lenken, um ihn und nicht mich selbst verkünden zu lassen, dass ich viel jünger bin als fünfundsechzig. Ich war immer stolz darauf, ein Mann zu sein, und obwohl ich durchaus fortschrittliche Ansichten habe, verachte ich Unmännlichkeit. Obwohl ich gern zusehe, wie die Flut des Wissens die Landstriche und Inseln meiner Meinungen einholt, behaupte ich, dass es einige Bereiche gibt, die sie nicht berühren oder verändern kann, und wir wissen, dass, wenn die Flut des Wissens die Meinungen nicht mit ihrer reinigenden Strömung überschwemmen kann, jene unerreichbaren Landstriche und Inseln ein Teil des Reichs der Vorurteile bleiben. Diese Metaphernsprache ist übrigens deine Angewohnheit, Alice Thumb, Violet Pansy Proudlock, nicht meine.
Auch ich bin Neuseeländer, jetzt aber Amerikaner. Meine Eltern hatten Anfang der Zwanzigerjahre einen kleinen Laden in Blenheim, einem Urlaubsort im Landesinneren. Es war ein hübscher Ort, umgeben von Busch, mit Obstgärten, Farmen und Ferienstränden. Und mit Stechmücken. Und im Sommer konnte man wegen des Lärms, den die Zikaden und Grillen machten, sein eigenes Wort nicht verstehen. Es gab auch ein Fährschiff nach Auckland, und an Sonntagen nahmen wir dieFähre oder gingen zu Fuß durch den Busch zum Strand von Birkenhead oder Takapuna. Wir waren arm, und das Geschäft ging schlecht, und wir standen immer am Rande des Bankrotts, doch meine Mutter und mein Vater (der unversehrt aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause gekommen war, abgesehen vom üblichen Granatsplitterandenken) glaubten unerschütterlich daran, dass sie zu Reichtum gelangen würden, und jeden Abend, wenn die täglichen Einnahmen zum Zählen auf den Küchentisch gelegt wurden, bestand neben einem Gefühl drohenden Unheils, das fast sichtbar auf dem Tisch lag, wie eine Ausgleichszahlung, die wir akzeptieren mussten wie ein gesetzliches Zahlungsmittel, eine unbezähmbare, verrückte Hoffnung, die meinen Vater zu dem Glauben bewog, er sei ein großartiger Finanzmann. Seit damals verfolgt und deprimiert mich der Gedanke an Geld: Ich will es haben, und dann will ich es wieder loswerden.
Ich war ein intelligentes Kind, dem durch Stipendien der Besuch der Oberschule und dann der Universität ermöglicht wurde, an der ich Landwirtschaft studierte und mich auf Bodenkultur spezialisierte; später hielt ich Vorlesungen für Pädagogikstudenten, und dann wurde ich Direktor der Pädagogischen Hochschule in Dunedin, wo ich allmählich meine
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