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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Begabung, das Leben anderer zu lenken, erkannte und in die Praxis umsetzte. Manchmal hat es ausgesehen, als wäre ich zu einem Stellvertreterdasein bestimmt, als könnte ich viele meiner ehrgeizigen Ziele nur auf dem Weg über das Leben anderer erreichen. Vielleicht ist das Urbild einer solchen Persönlichkeit Jesus Christus. Ich bin allerdings Atheist.
    Ich lernte Zita in Dunedin kennen, als ich Direktor der Pädagogischen Hochschule und sie eine siebzehnjährige Studentin war. Man kann sich den Skandal vorstellen. Ich wardamals siebenundfünfzig! Sie machte gerade eine unglückliche Entwicklungsphase durch, und ich rettete sie vor dem Selbstmord. Ich war bereits verheiratet, und ein Sohn und eine Tochter von mir studierten an der Hochschule. Ich könnte über diese Zeit in Dunedin ein Buch schreiben – das Gerede, die Missfallensbekundungen, das Warten auf die Scheidung –; ich verlor meine Stellung als Direktor. Wir heirateten und gingen nach Kalifornien, wo ich Vorlesungen über Bodenkultur hielt und vor zwei Jahren, als ich knapp genügend Dienstjahre hatte, in Pension ging. Wie Sie wissen, schreibe ich gerade ein Buch über Erosion. Zita und ich lieben uns sehr. Sie wird oft für meine Tochter gehalten. Sie gehört mir; ich habe sie gerettet; ich erfülle ihr jeden Wunsch. Und wenn irgendein verheirateter oder unverheirateter Mann zu uns kommt und sie anlächelt, dann soll er nur kommen, ich werde ihn umbringen. Ich lasse nicht zu, dass sie die Bekanntschaft eines anderen Mannes macht.»
    «Wenn du alt bist, Liebling», sagt Zita, «dann werde ich für dich sorgen.»
    «Wir waren beide gern in Gesellschaft von Irving und Trinity Garrett, zum Teil, weil sie in ihrer Arbeit und in ihrer Beschäftigung mit Kunst und Kunsthandwerk dermaßen aufgingen, dass alles, was für andere übrig blieb, eine neutrale Haltung war, die es ihnen ermöglichte, das Leben anderer zu akzeptieren, ohne es zu beurteilen. Sie wurden manchmal als ‹farblos› beschrieben, eine ungewöhnliche Bezeichnung für zwei Menschen, die ihr Heim mit Farben schmückten, die ich – zugegebenermaßen ein Analphabet auf dem Gebiet der Farben – für ‹kultivierte› Farben halte, ein Vermeiden kräftiger Grundfarben und ein Auswählen raffinierter Mischfarben, die man meiner Ansicht nach nur schätzen kann, wenn manGeschmack und Erfahrung hat. Es stellt sich auch die Frage, ob man der Behauptung, dass diese Farben ‹besser› als ‹gewöhnliche› sind, zustimmt oder ob man dagegen aufbegehrt. Der grüne Vorhang vor der Schiebetür zur Terrasse hat für mich die Farbe von Kuhscheiße. Diese graubraunen Kissen lassen mich an Rattengift denken. Aber man kann mir jederzeit das großartige Blau des gläsernen Mosaiktischchens vorsetzen, eine Nachbildung des Tisches aus den Uffizien, wie du behauptest. Ich bin zu alt, um mich an Kuhscheiße zu lehnen und meinen Kopf auf Rattengift zu legen. Meine Vorlieben und Abneigungen sind nicht mehr zu ändern, und meine geliebte Zita, die ich zur Fraulichkeit herangebildet habe, verwöhnt mich mit ihren diesbezüglichen Kenntnissen. Wenn wir erst unsere neue Wohnung gefunden haben, sind wir garantiert das glücklichste Paar in ganz Kalifornien.»

24
    «Ich bin der jüngste Gast, Alice Thumb», sagte Zita. «Ich bin fünfundzwanzig. Ich will dir etwas aus meinem Leben erzählen. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich als Kind gekochte, zerkleinerte Baumwolllappen aß, zusammen mit einer zerdrückten Kartoffel, in einer Suppe, die für unsere Familie die einzige Mahlzeit am Tag war. Das war einige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in Ungarn. Ich erinnere mich an schreckliche Angst, grelle Scheinwerfer und an ein Lager, in dem ich mit meinen Eltern und meinem Bruder darauf wartete, ausgewählt zu werden, akzeptiert von der Regierung Neuseelands, die ihre Bereitschaft bekundet hatte, nach dem Aufstand von 1956 einige von uns zu ‹nehmen›. Alle sagten, dass man besonders klug, schön, gut und gesund sein müsse, um von Neuseeland aufgenommen zu werden, und deshalb versuchten es die meisten gar nicht, wo doch so vielen von ihnen Gliedmaßen fehlten, wo so viele krank waren, wunde Stellen hatten und Läuse; und man wurde nicht akzeptiert, wenn einem Glieder fehlten, wenn man krank oder ungepflegt war; und einige, die zornig und gewalttätig gewesen waren, wollte man auch nicht. Nur die Ruhigen wurden ausgewählt, so wie wir, die wir noch alle Arme und Beine hatten, ein freundliches Lächeln,

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