Auf dem Maniototo - Roman
Ungarisch. Wir sprachen auch deshalb lieber nicht Ungarisch, weil wir uns dann als Fremde fühlten und spürten, dass es den anderen missfiel und dass sie glaubten, wir hätten Geheimnisse vor ihnen und würden über sie reden. Mutter war die Einzige, die unfähig schien, die englische Sprache zu erlernen, sie redete immer noch Ungarisch mit Vater; und dann, ganz allmählich, sodass wir es nicht merkten, wurde sie immer stiller, bis sie gar nichts mehr sagte; und als Vater sie einmal wegen irgendwelcher Beschwerden zum Arzt bringen musste, meinte dieser, sie sei geistesgestört und gehöre in eine psychiatrische Klinik – wir aber wussten, dass es nur ihre Angst vor der Sprache war. Selten geschah es, dass ich sie in der Nacht sprechen hörte, das Murmeln erkannte und die Satzmelodie, und manchmal dachte ich, im Durcheinander von Nacht,Schlaf und Traum, wir wären immer noch im Lager und warteten darauf, von den fleckenlosen Neuseeländern ausgewählt zu werden, und das Gespräch meiner Eltern drehe sich darum, was wir am Tag, an dem die fleckenlosen Leute kommen und ihre Wahl treffen würden, anziehen, tun und sagen würden.
Josef und ich und einige der anderen Kinder spielten gern das ‹Auswählspiel›; ein paar waren die Wählenden, und die, die darauf warteten, ausgewählt zu werden, saßen in einer Reihe auf dem Boden, und wenn die Wählenden erschienen, sprangen sie auf und begannen zu lächeln, englische Wörter zu sprechen und sehr intelligent und gesund auszusehen, während die Wählenden auf und ab gingen und miteinander flüsterten. Ich fand es bemerkenswert, dass wir Mädchen nach der lang ersehnten Ankunft in Neuseeland oft ein Auswählspiel spielten (die Auswählspiele nahmen gar kein Ende), das ‹Orangen und Zitronen› hieß, und entweder wurde einem der Kopf abgehackt, oder man bekam eine Belohnung und durfte sich ein ‹Kleinod› aussuchen, ein Rubinhalsband oder einen silbernen Fingerhut. Wir spielten auch ‹Der Farmer sucht seine Frau aus› und ‹Die Frau sucht ihr Kind aus› und ‹Das Kind sucht ein Spielzeug aus›; und bei all diesen Spielen wurde mir mitunter übel vor Angst, so als wäre ich wieder in dem Lager in Österreich.
Unsere Kindheit in Wyndham war glücklich, aber auch einsam. Während der ersten beiden Monate unseres Aufenthalts kamen Reporter und fotografierten uns in unserem neuen Heim, und die Nachbarn brachten uns Kuchen und Torten und Obst, große glänzende Äpfel und Birnen; und auf der Straße und in den Geschäften lächelten uns alle an; und der Pfarrer redete in der Sonntagspredigt über uns; und dann, ohne dass wir den genauen Zeitpunkt gemerkt hätten (obwohles ziemlich plötzlich geschah), ließen uns die Leute links liegen, und niemand kam zu uns auf Besuch, außer dem neuen Freund meines Vaters, dem Buchdrucker, und dem Pfarrer, und die Menschen auf der Straße waren zu beschäftigt, um zu lächeln.
Wir fragten uns, warum. Womöglich hatten wir etwas falsch gemacht oder zu viele Englischfehler gemacht; aber wir wussten doch, dass sie stolz auf uns waren, denn die auswählenden Beamten hatten im Radio über uns gesprochen, hatten gesagt, wie fleckenlos wir seien, unter all denen, die nach Österreich geflüchtet waren, und wie wir zuerst von den Beamten aus London
herausgefiltert
worden seien (wie reines Trinkwasser). Vielleicht war es Zeit für uns, unsichtbar zu werden, wie das Insekt, das sich neu getarnt hat, auf dem neuen Zweig des neuen Baums? Oder vielleicht war es die Unfähigkeit unserer Mutter, sich die neue Sprache anzueignen, und ihr Schweigen.
In diesem Jahr kamen noch einige andere Auswandererfamilien in diese Gegend, aber die Stadt schenkte ihnen nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie uns, der ersten auserwählten Familie. Viele der anderen waren von Beginn ihres Aufenthalts an einsam, denn sie waren schon in anderen Ländern gewesen vor Neuseeland, das großzügig erklärte: ‹Wir nehmen, sagen wir, ein halbes Dutzend von den gesiebten und gefilterten Familien›, und sie waren in ein Lager in Otago gekommen, auf einer Ebene namens Maniototo, wo sie ‹abgefertigt› wurden und man ihnen Lieder beibrachte – ‹O Danny Boy the pipes, the pipes are calling; From glen to glen …›, ‹God Save the Queen› und ‹Come O Maidens Welcome Here›. Nachdem einige der Einwanderer sich über die Zustände im Lager beschwert hatten, begannen die Leute dort, sich zu fragen,ob es der Mühe wert sei, undankbaren Flüchtlingen zu helfen,
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