Auf dem Maniototo - Roman
Wir sehen uns in ungefähr einer Stunde. Schade, dass ich nicht die Nacht über bleibe, wenn die Luft kühler ist und alle Tiere wach sind.» Er wusste Bescheid. Er hatte darüber gelesen und einen Bericht im Fernsehen gesehen.
Doris und Theo verließen ihn nur ungern. Er sah jetzt schon ziemlich matt aus. Er gab Theo in der altmodischen Art eines Forschers die Hand und küsste Doris, als verließe er sie für immer, und sie sahen ihm zu, wie er die Piste entlangtrottete, dem dichten Chaparral-Gebüsch auswich, auf flacheres Gelände, das eher wie eine herkömmliche Wüste aussah, mit Kakteen, aber ohne die Josuabäume, die riesigen Saguarros und die Agaven, die er in Gedanken schon vor sich sah.
Als er befand, dass er die Zivilisation endlich hinter sich gelassen hatte (er sah dem Auto nach, das auf dem Hügelrücken in Richtung Motel verschwand), blieb er beim nächsten Feigenkaktus stehen und setzte sich in dessen zusammengeschrumpften Schatten. Es war entsetzlich heiß. Er hatte seinKopftuch mit Wasser aus der Wasserflasche getränkt, doch die Feuchtigkeit war innerhalb von Sekunden in einer Wolke verdunstet. Er nahm die Flasche und schüttete Wasser über das Tuch und über sein Gesicht, und er spürte, wie wohl es seinen Augenlidern und Wangen tat und wie es seinen Nacken herunterrieselte; dann lag er da, den Kopf auf seinen Rucksack gebettet, und starrte hinauf in den Himmel aus flüssigem Metall, so wie er es sich vorgestellt hatte. Er sah etwas durch die Luft gleiten, was er für einen Wüstenfalken hielt, und hörte das Zwitschern zahlreicher Vögel. Dann schloss er die Augen, und zum ersten Mal, trotz der Hitze und der fast lächerlichen Unannehmlichkeiten (wie wenn der Kühlschrank nicht funktioniert und der Eisvorrat geschmolzen ist, man aber ins eigene Schwimmbecken springen kann; oder wenn man bei Ausfall der Gasheizung den Elektroofen einschaltet) und trotz der fast absurden Umstände seines ersten Wüstenaufenthalts war er zufrieden, da der Anfang seines Traums verwirklicht (und zugleich gefährdet) war, und zwar gerade deshalb, weil ihm die Befriedigung des Verlangens nach einem kleinen Happen Realität verweigert wurde. Er wurde sich immer sicherer, dass ihm letztendlich irgendeine Vision, eine «Offenbarung» zuteilwerden würde – wenn nicht hier – (denn hier handelte es sich nur um eine Probe), dann auf seiner «echten» Reise durch eine der großen Wüsten der Erde. Daran bestand kein Zweifel. Es war ein historischer und religiöser Gemeinplatz, dass Gott einen immer in der Wüste erwartete.
Ein Flugzeug brummte, funkelte hoch oben am Himmel. Die Vögel zwitscherten weiter. Er hörte leise Geräusche, die er nicht näher bestimmen konnte. Die Stille der Wüste, die er sich vorgestellt hatte, gab es nicht, ebenso wenig wie es zwischen diesen Felsen und den Inseln aus vertrockneter Erdeund Kaktusgestrüpp jene Ozeane aus Wüstensand gab, die vom Wind zu einem höllischen Sturm aufgepeitscht werden konnten, in dem er sich orientierungslos weiterschleppen würde, Sand in Augen und Haar, im Gesicht und unter den Augenlidern, und stolpern und hinfallen würde, vielleicht aufgespießt (das, so hatte er gelesen, war das Schicksal vieler Wüstenzaunkönige) von den Stacheln eines Kaktus oder einem Ast der riesigen Dornbüsche, die schmucklos dastanden, wie entblößt oder wie die Bäume der Selbstmörder im Wald aus dem mittleren Ring des Siebenten Kreises der Gewalttätigen.
Er döste vor sich hin. Wie ein Brandeisen drückte die Hitze seinen Körper tief hinein in Fels und Erde, bis er fast nur noch ein Schatten war, der sich, der Sonne vollkommen ausgeliefert, gleich im schattenlosen Mittag auflösen würde. Er öffnete die Augen. Er lag da, ohne die geringste Lust auszupacken, zu essen und zu trinken oder auch nur sein Gesicht mit Wasser zu benetzen oder zu bespritzen. Er schämte sich dafür, derart beladen mit Vorräten zu sein, wo er doch wusste, dass die Tiere, Insekten und Pflanzen der Wüste ein Jahr ums andere in der Erwartung der wenigen Regentropfen lebten, die ihnen vom Schicksal beschieden waren und die sie empfingen und in sich speicherten, ohne einen Tropfen zu verschwenden. Auch die Sandstürme und die Hitze der verhassten Wüste nahmen sie in Empfang, und sie bekämpften diese Mächte mit ihrer einzigen Waffe, ihrer Existenz.
Er begann sich über sich zu ärgern, über sein ausschließliches Interesse an der «echten» Wüste, der «echten» Reise, die sein Bewusstsein so
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