Auf dem Maniototo - Roman
lebhaft beschäftigte, und über seine mangelnde Bereitschaft anzuerkennen, dass er ja soeben die Erfahrung einer «echten» Wüste machte. Dann begann er,sich einsam zu fühlen, und war froh darüber. War das nicht ein Zeichen? Er war das schwache menschliche Wesen, das niemals nackt in der Wüste umhergehen konnte wie die Tiere, deren Schweiß durch Ohren und Haut und Zunge austrat, oder wie die Pflanzen, die Taschen an den Blattspitzen hatten, und jene, die sich mit ihrem Schicksal, einmal in zwanzig Jahren zu blühen, zufriedengaben. Sie alle waren wirklich allein. Er konnte das nie sein, wo er doch seinen Rucksack und seine Kopfbedeckung benötigte, Schuhe und Sonnenbrille und Salztabletten und das Auto, das ihn nach seiner «Probe» abholte, und seine Frau in diesem Auto und seine Kinder bei ihren Großeltern im Süden von London und sein Haus im Süden von London mit den Apfelbäumen und dem von einer Mauer umgebenen Garten und seine Freunde und selbst seine toten Freunde, Irving und Trinity Garrett. Seine auffälligste Ähnlichkeit mit einem wilden Tier oder einer Pflanze oder einem Insekt schien ihm darin zu bestehen, dass er wie sie eine klebrige Flüssigkeit absonderte, die auch eindringen, lähmen oder töten konnte. Sie half einigen Tieren bei der Nahrungssuche und bei der Bekämpfung ihrer Feinde, während die Menschen sie benutzten, um Freunde und Geliebte zu gewinnen und begehrte Dinge festzuhalten, das alles mit einer eher unklaren Absicht, die zur Folge hatte, dass manche Freunde und Geliebte und Dinge als Nahrung eingestuft wurden, die verzehrt wird, damit der Wirtskörper überlebt.
Er fühlte sich müde und einsam und war sich schmerzlich bewusst, dass Einsamkeit mitleiderregend und verachtenswert war, wogegen das Alleinsein, auf einer höheren moralischen Ebene angesiedelt und doch Teil der Veranlagung der Wüstentiere, etwas Bewundernswertes darstellte. Wenn man einsam ist, ist man befugt, über sich selbst und seine EinsamkeitTränen zu vergießen. Ist man hingegen allein, hat man das Privileg, nur über die Welt Tränen vergießen zu müssen – und über den flüchtigen Anblick Gottes.
Die Hitze wurde stärker. Die Sonne schien sich vervielfältigt zu haben, das Feuer vieler Sonnen pulsierte, der Himmel war wie ein riesiger blauer Schmelzofen, und die unvorsichtigen Schweißer hatten schon die Decke durchbrennen lassen, beugten sich hinab und lenkten ihre Flammen dorthin, wo der verrückte Mittagsengländer, der doch nicht einmal das Feuer vom Himmel gestohlen hatte, angekettet an seinen Wüstenfelsen lag und inständig um eine Vision bat, die in das Schema seines Traums passte, wobei er sowohl die Wirklichkeit als auch den Traum beanspruchte, sein Ärmel von der «Qual der Flamme» gleichzeitig «versengt und nicht versengt».
Mit offenem Mund, verschmolzen mit der Sonne, sagte er plötzlich: «In mir ist doch Heldenmut. Heldenmut und Gott.»
Er grübelte über die Bedeutung des Wortes «Heldenmut» nach; es wird heute selten verwendet, dachte er. Ein Wort des Mythos, der Geschichte, des Strebens. Seine Beziehung zu Gott war nicht von der Art, die einem auf bequeme Weise Verbündete verschafft, indem man behauptet: «Mein Leben ist richtig, und deshalb ist Gott auf meiner Seite.» Er hatte sich die Reise zu Gott so vorgestellt, dass man zunächst dichten Gefühlsunter- und -überwuchs aushacken und beseitigen muss, vor allem den, der die Seele immer warm und ruhig hielt – obwohl er wusste, dass am Ende der Reise Wärme und innere Ruhe wiederkehrten. Seine Vorstellung von Pflanzenwuchs und kahlem Land, von Wald und Wüste war ein weiteres Klischee, das ihn nicht verließ. Er verspürte ein vages Gefühl der Zerstörung beim Gedanken daran, dass er eine Vorstellung mit echtem Fleisch und Blut erfüllte.
Ah, doch jetzt, in der Wüste, war er zu müde, um noch etwas zu denken, ja selbst um etwas zu fühlen. Alles war weit weg. In seinem Kopf hämmerte es, Sonnen wirbelten hinter und vor seinen Augen, das Flimmern der Hitze stieg auf und fiel auf ihn herab in diesem Trancezustand der Luft, die sich bewegte wie Wellen auf dem Meer an einem Tag, an dem die Luft über dem Wasser ruhig ist und die Schattenströmung in den geheimen Tiefen der Meereswälder im Gleichklang mit der sanften Bewegung des «wirklichen» Meeres oberhalb, ohne ein Zeichen jener unerklärlichen Raserei, die man «trockenes Wüten» nennt und die von ihrem Entstehungsort in den Tiefen des Meeres, im Schattenland, an die
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