Auf dem Maniototo - Roman
Oberfläche steigen kann, wo sie die Wellen plötzlich zu dunklem Blau und schäumender Gischt aufpeitscht, unter einem vollkommen ruhigen und windstillen Himmel.
Er öffnete die Augen und blickte um sich. Von Neuem beherrscht von seinem Bild einer «echten» Wüste, erwartete er, eine Fata Morgana zu sehen, die herkömmliche Halluzination durstiger Reisender, eine schillernde Oase vor einem Sonnenuntergang in Technicolor, die grünen Dattelpalmen, die angebunden im Schatten liegenden Kamele. Es gab keine Fata Morgana. Er sah nur einen Wüstenhasen (er erkannte ihn aufgrund der Fotos, die er von der «echten» Wüste gesehen hatte). Er kam, um sich neben Roger im kümmerlichen Schatten des Feigenkaktus und in dessen eigenem Schatten niederzulassen. Roger atmete leise und verhielt sich ganz still. Der Hase war so nahe, er zitterte am ganzen Körper, keuchte und bewegte seine Ohren vor und zurück wie kühlende Fächer. Er kauerte sich in dem kargen Schatten zusammen, den Roger und der Feigenkaktus boten, als bemerke er nicht, dass er sich in menschlicher Gesellschaft befand. Da Roger trotz aller Unbequemlichkeitin der rechten Stimmung war, um zu staunen, und da er begriff, dass sein Aufenthalt in der Wüste ihn bisher seiner erhofften Vision kaum nähergebracht hatte, empfand er eine freudige Dankbarkeit, weil der Wüstenhase genug Vertrauen zu ihm hatte, um sich neben ihm im Schatten niederzulassen – denn sicherlich war das Tier sich seiner Gegenwart bewusst. Den zitternden, zusammengekauerten Hasen neben sich, tat Roger den Schritt von der Einsamkeit zu einem beglückenden Gefühl gemeinsamen Alleinseins. Er und der Hase fühlten sich miteinander wie zu Hause, und das war alles, was «Zuhausesein» bedeutete, nicht mehr und nicht weniger. Einfach einen Platz friedlich miteinander zu teilen; nicht unbedingt einen, der so groß war wie ein kleines Haus oder ein Zimmer oder so und so viele Hektar oder Inseln und Kontinente umfasste, lediglich einen Platz, der zum Leben und deshalb auch zum Sterben groß genug war. Roger und der Hase fühlten sich zu Hause: Sie teilten einen Schatten.
Im nächsten Augenblick verschwand der Hase mit einem weiten Satz und beendete so den Traum, ohne ihn zu zerstören; sein weißer Schwanz blitzte auf, und weg war er. Roger wusste, dass es Zeit war zu gehen. Er nahm seinen Rucksack und ging denselben Weg zurück bis zum Rand der Wüste, zur Zivilisation, zum Schild WÜSTE. Dann ließ er sich seinerseits, als Bürger einer offensichtlich lese- und schreibkundigen Welt, in dem kargen Schatten nieder, den das Schild und das große Thermometer boten, und wartete darauf, dass Doris und Theo ihn mit dem Auto abholten.
29
Theo und Doris nahmen ein Appartement im Desert Motel.
«Wir möchten irgendwo ein paar Stunden ausruhen, wegen der Sonne», erklärte Theo der Empfangsdame.
«Die Sonne kann sehr unangenehm sein, wenn man sie nicht gewohnt ist.»
«Ich bin sie gewohnt.»
Theo war in Streitlaune. Er hatte Kopfschmerzen, und er konnte es nicht ertragen, auf irgendeinem Gebiet für einen Neuling gehalten zu werden, nicht einmal darin, sich in Gesellschaft der Sonne zu befinden. Eine seiner wiederholten Selbstbezeichnungen war «ein Mann mit Erfahrung».
«Ich habe vielleicht einen ausländischen Akzent, aber ich bin die kalifornische Sonne gewohnt, ich lebe hier schon seit mehreren Jahren, in der Bay Area.» Er sprach die Wörter «Bay Area» mit der notwendigen Vertrautheit aus und stellte mit Befriedigung fest, dass die Empfangsdame beeindruckt war. Er unterschrieb das Anmeldeformular und nahm den Schlüssel.
«Nebenan ist ein Café, falls Sie eine Kleinigkeit essen wollen.»
Sie warf Doris einen Blick zu, dachte dabei «Sie ist eine Emanze und verwendet deshalb ihren Mädchennamen» und ließ die Erklärung gelten, dass die Hitze ihnen zu schaffen machte.
«Sie müssen achtgeben», sagte sie, als Doris sich umwandte, um hinter Theo die Treppe hinaufzugehen. «Er sieht wirklich krank aus.»
Oben angelangt, warf sich Theo auf die Couch im Wohnzimmer.
«Nimm du das Schlafzimmer», sagte er.
«Willst du nicht zuerst etwas essen? Wir haben eine Menge mitgebracht. Eigentlich sollte es ein Picknick werden.»
Doris, verschont vor dem Versinken im Wüstensand, um eine ausgefallene, schöne Phantasie zu kultivieren, war betroffen darüber, dass Theo, wie ein kleiner Bub in einem Blumengarten, der blühenden Phantasie mit einem Streich den Kopf abschlug. Sie wandte ihr Augenmerk dem
Weitere Kostenlose Bücher