Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
den Vereinigten Staaten wächst ja inzwischen schneller als jede andere. Ich bedaure, dass ich die Folgen der Veränderung in der Bevölkerungsstruktur wahrscheinlich nicht mehr miterleben werde. Aber sie würden mich interessieren. Ich habe einmal einen riesengroßen Kindergarten an der Ostküste besucht, und zwar für Kinder, deren Eltern aus Lateinamerika gekommen waren. Die Leiterin achtete sehr darauf, dass alle erst einmal anständig Englisch lernten. Es waren hauptsächlich Vorschulkinder und Schulkinder bis höchstens zehn. Mit unterschiedlichen pädagogischen Mitteln wurde ihnen die Sprache nähergebracht. Alle wollten und sollten Englisch lernen, und das fand ich sehr beeindruckend.
Große Politik am Neubergerweg
In Ihrem Esszimmer mit den interessanten Bildern an den Wänden haben Sie einen König sowie mehrere Staats- und Regierungschefs empfangen. Auf wie vielen Quadratmetern haben Sie sie dort – schätzungsweise – untergebracht?
Das Esszimmer ist erst 1974 angebaut worden, und zwar zum Glück, unmittelbar bevor Helmut Kanzler wurde. Das sind höchstens fünfundzwanzig bis dreißig Quadratmeter, also nicht besonders geräumig. Aber unsere Gäste finden immer genügend Platz. Das war auch bei den politischen Besuchen so.
Als ersten Staatsgast haben Sie Edward Gierek, der von 1970 bis 1980 Erster Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei war, also polnischer Staatschef, zu sich nach Hause eingeladen. Konnten Sie den Respekt Ihres Mannes für Gierek teilen?
Es ist nicht richtig, dass mein Mann Respekt vor ihm hatte. Er achtete ihn sehr, das ist ein Unterschied. »Anerkennung« ist das richtige Wort. Wir haben die Giereks Jahre später in Oberschlesien aufgesucht. Sie sind uns um den Hals gefallen und haben sich unendlich gefreut, dass wir sie besucht haben. Helmut kannte seine Vergangenheit. Gierek hatte vor und bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Bergarbeiter in Frankreich und Belgien gelebt. Er war ein führendes Mitglied des belgischen Widerstands gegen die deutsche Besatzungsmacht gewesen. Nach seiner Rückkehr nach Polen trat er der Kommunistischen Partei bei und hat sich später als KP-Chef sehr um die Modernisierung der polnischen Wirtschaft bemüht. Als er bei uns in Langenhorn zu Besuch war, haben Gierek und mein Mann in unserem Esszimmer übrigens nicht konferiert. Es war eher – wie auch bei späteren, vergleichbaren Besuchen – eine sehr persönliche Begegnung, die Vertrauen schaffen sollte. Meistens gab es Kaffee und öfter mal selbstgebackenen Kuchen. Und die Atmosphäre dabei war einfach so, dass sich die politischen Gäste wohlfühlen konnten.
Ein besonders mächtiger Gast in Ihrem Hause war 1979 Leonid Breschnew, der von 1964 bis 1982 als Generalsekretär der KPdSU die Sowjetunion führte. War er nicht überrascht, wie bescheiden Sie wohnten?
Für uns war es sehr komisch, als er mehrmals fragte: »Und wo ist die Mauer?« Dass unser Haus so ungeschützt an einer Verkehrsstraße lag, war für ihn offenbar nicht zu begreifen. Er konnte ein bisschen Deutsch. »Aber hier stehen ja vor jedem Haus Autos!«, sagte er voller Erstaunen, denn in der Sowjetunion waren Privatautos damals Mangelware. Den allgemeinen Wohlstand hier konnte er nicht nachvollziehen. Seine Äußerungen, die so viel Überraschung ausdrückten, habe ich heute noch im Ohr.
Damals ging es zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland vornehmlich um Sicherheits- und Abrüstungsfragen. Haben die Herren auch hier im Hause darüber geredet?
Das kann ich nicht beantworten. Wenn sie sich ausführlich darüber unterhalten hätten und ich die ganze Zeit dabei gewesen wäre, hätte ich das bestimmt behalten. Aber ich hatte immer mal wieder Hausfrauenpflichten und habe auch aus den Gesprächsfetzen nichts von einer sicherheitspolitischen Diskussion vernommen.
Hat Breschnew bei Ihnen noch Alkohol getrunken? Er war ja bereits ziemlich krank.
Dass er krank war, haben wir auch gemerkt, als ihm einer seiner Adlaten – wahrscheinlich war es sein Leibarzt – in unserem Badezimmer eine Spritze gegeben hat; die haben sie dann dort im Abfalleimer liegenlassen. Für einen Geheimdienst wäre es sicher hochinteressant gewesen, die Spritze samt Restinhalt zu untersuchen. Für meinen Mann und mich war es ein großer Vertrauensbeweis. Bei uns hat er im Übrigen nur Kaffee getrunken. Wie krank Breschnew war, haben wir auch daran gemerkt, dass er nicht mehr geraucht hat. Aber er mochte es, wenn in seiner
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