Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
Machtergreifung …«
    »Und?«
    »Seitdem ist Ihr Vater, der alte gierige Schindewolff, peinlich bemüht, mir unter sehr – sehr schwierigen Umständen alles wiederzugeben, was er mir vorher genommen hatte.«
    »Ach, du lieber Gott«, sagte ich, »und auf einen solchen Dreh fallen Sie herein?«
    »Es ist kein Dreh.«
    »Sie sind Jude«, sagte ich.
    Da war wieder sein forschender Blick: »Das müßten Sie doch sehen, Sie haben doch sicher den ›Stürmer‹ gelesen.«
    »Ich wisch' mir nicht einmal den Arsch am ›Stürmer‹ ab – das Papier ist mir zu schlecht, verstehen Sie«, erwiderte ich. »Aber ich sehe etwas anderes: der alte Haifisch benimmt sich aus einem ganz anderen Grund anständig.« Ich blies ihm den Rauch ins Gesicht: »Er hat Fracksausen.«
    »Fracksausen?«
    »Hornissen in den Hosen«, übersetzte ich. »Er braucht ein Alibi. Wer viel Dreck am Stecken hat, legt jetzt schon viel an für die Zeit nach dem Krieg.«
    »Ihr Vater wird das Kriegsende nicht mehr erleben«, entgegnete der Mann gelassen.
    »Sie sind verdammt gut informiert.«
    »Das bringen die Geschäfte mit sich«, antwortete er und verspottete sich mit seinem Lächeln.
    »Dann wissen Sie auch, warum er mich nach Schweden geschickt hat.«
    »Ich weiß es nicht, aber ich vermute es. Er will Sie über den Krieg retten.«
    Natürlich hatte Daniel Gersbach recht. Es ging dem Alten keineswegs darum, mir ein paar Monate zu vergolden.
    »Er war mal der größte Raubfisch in der Branche«, sagte Gersbach.
    »Alte Raubfische werden eben fromm«, sagte ich. »Das liegt in der Natur der Sache.«
    »Sie haben wohl für Ihre Jugend schon ziemlich viel mitgemacht«, sagte Gersbach, »trotzdem sollten Sie vielleicht etwas – dankbarer sein.«
    Ich wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen. Dankbar! Für was! Für Sprung-auf-marsch-marsch? Oder für ein stilles Vaterunser? Oder für den Gummischutz, den ich am Kasernentor vorzuzeigen gehabt hätte, sofern mir der Ausgang nicht wegen strafweiser Brandwache gestrichen worden wäre?
    »Sind alle Menschen Ihrer Generation in Deutschland so?« fragte er.
    »Vielleicht«, fing ich ihn ab. »Soweit sie noch leben.«
    Die erste Begegnung endete ohne Sympathie. Auf beiden Seiten. Gersbach bat mich, ihn am Wochenende in seinem Landhaus zu besuchen, aber es war schiere Höflichkeit, und ich ärgerte mich, daß ich mich zu ähnlichem verpflichten würde.
    Aber dann ging es mir mit ihm wie mit manchen Menschen, denen ich auf den ersten Blick wenig abgewinnen konnte: Von Begegnung zu Begegnung freundete ich mich mehr mit ihm an.
    Sonst lebte ich wie Gott in Schweden. Ich nahm mit, was ich bekam, ob es nun Schokolade war, Schnaps, Mitternachtssonne oder Blondinen. Ich brauchte mir die Ohren nicht mehr zuzustopfen. Ich hörte keine Schüsse mehr. Ich sah auch nicht mehr auf den Kalender, wann die Stockholmer Tage enden würden. Ich war entschlossen, nicht mehr zurückzukehren. Ich wollte mich drücken; doch – im Gegensatz zu früher – jetzt aus Überzeugung, denn ich konnte jetzt Zeitungen lesen, die nicht zensiert worden waren.
    Als ich nach sechs Monaten auf die deutsche Botschaft ging, um mein Visum verlängern zu lassen, sagte man mir, daß ich unverzüglich heimzukehren hätte, heim ins Reich.
    Ich nahm meinen Paß und warf ihn auf den Tisch.
    »Was soll das?« fragte mich ein Beamter.
    »Sie können ihn behalten«, erwiderte ich.
    »Sie wollen Ihr Vaterland im Stich lassen?« fuhr mich der Mann an.
    »Vaterland ist abgebrannt«, entgegnete ich und tippte mir an die Stirn.
    »Den Führer …«
    »… werden sie bald hängen«, versetzte ich, »und dann werden Sie mir Ihren beschissenen Paß wiedergeben, falls Sie noch auf Ihrem beschissenen Stuhl hier hocken.«
    Es war ein billiger Abgang, aber Daniel Gersbach und Eriks Mutter hatten meinen Absprung sorgfältig vorbereitet: Ich wurde als politischer Flüchtling anerkannt und nicht einmal interniert.
    Ich mußte mich nur jede Woche einmal auf dem Polizeirevier melden.
    Statt mir erneut vom Krieg die Fresse verwüsten zu lassen, vollendeten schwedische Chirurgen, was Wolfgang begonnen hatte. Zufällig hatte ich ein Ausnahmeschicksal; es verschaffte mir kein schlechtes Gewissen, aber ich machte mir Sorgen um Wolfgang und Erik, die den schwachsinnigen Amoklauf bis zur letzten Stunde auskosten mußten – Erik, wie ich wußte, als Kompanieführer an der Ostfront, die nun schon beinahe vor der Berliner Haustüre lag, und Wolfgang wieder in einem

Weitere Kostenlose Bücher