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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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verpaßt worden war wie Militärklamotten auf der Kleiderkammer.
    »Unser Vater meckert wie ein geiler Ziegenbock«, sagte ich.
    »Er hat seine Qualitäten«, erwiderte der Krautjunker, dem der Alte ebenso wie mir einfach den Geburtsort als Nachnamen angehängt hatte.
    »Ich laß mich gern überraschen«, erwiderte ich.
    »Du erhältst auch gleich Gelegenheit«, versetzte Erik. »Es kommt noch unser dritter Bruder.«
    »Ist er auch in unserem Alter?« fragte ich.
    »Der Älteste«, antwortete er, ohne in seinem hochmütigen Gesicht eine Regung zu zeigen. »Sein Meisterstück.«
    »Wieviel gibt's denn eigentlich von unserer Sorte?«
    »So an die zehn – oder vierzehn«, fuhr Erik fort, »Näheres erfährst du bei der Hauptbuchhaltung; sie überweist die Alimente.«
    »Sind unserem Herrn Vater eigentlich zwei gewachsen?« fragte ich.
    Erik prostete mir mit dem Kognak zu, lächelte in seiner knappen, raschen Art: »Eigentlich ist ihm keiner gewachsen«, entgegnete er.
    Ich wußte nicht, wie viele Brüder und Schwestern der ledige Heinrich noch aus dem Zylinder zaubern würde wie ein Magier, aber ich hatte gleich den Eindruck, daß der Krautbaron mein Lieblingsbruder werden könnte. Er hatte eine Art, durch den Dreck einer Gegenwart zu gehen, ohne sich schmutzig zu machen. Ein Mann, der immer Handschuhe anzuhaben schien und sich nicht vom Geruch der Umwelt belästigen ließ, eine Wohltat in einer Zeit, in der die Vermassung bis zum Grabe reichte.
    Schließlich kam noch Georg, der erste Mann eines Triumvirats, das der Alte aus uns machen wollte. Er war bullig, untersetzt und ungeschliffen. Sein Ältester mußte Heinrich Schindewolff wohl restlos überzeugen. Georg ähnelte dem Alten von uns am meisten, nicht nur, was den Ansatz der Stirnglatze betraf, die darauf schließen ließ, daß sein Kopf auch bald wie eine glänzende Billardkugel aussehen würde.
    Georg stapfte den ganzen Tag im Fabrikgelände herum. Er war nicht nur der Augapfel des Alten, sondern auch noch als Ingenieur und Kaufmann der geborene Thronfolger des Schindewolff-Konzerns, während der Firmengründer Erik und mich gelegentlich verwundert betrachtete wie versehentlich ausgebrütete Entenküken.
    Der alte Schindewolff war nie verheiratet gewesen. Der Selfmademan litt an einem handfesten Kronprinzen-Komplex. Der Konzern, den er errafft hatte, war zugleich seine Frau, sein Wahn und sein Gott; da seine Gründung keine Vergangenheit hatte, wollte er ihr wenigstens eine Zukunft bescheren, weshalb er aus der Schar seiner vorsorglich und planmäßig gezeugten Nachkommen die fähigsten aussuchte, um sie als Nachfolger auszubilden.
    Eigentlich war es ein Kompliment für mich, aber ich mußte an mich halten, um Heinrich nicht im Namen meiner Mutter zu verprügeln. Ich hätte die Art, wie er sich eine demokratische Dynastie aufbauen wollte, für originell gehalten, hätte es sie nicht gegeben.
    Der alleinige Konzerchef war krank und wußte es auch. Er ließ keinen Arzt an sich heran, was ich verstand: Ärzte konnte er schließlich nicht so niederkontern wie seine Abteilungsleiter.
    Er trank zuviel, wie einer, der Angst hat oder seinen Verstand vernebeln möchte. Im Betrieb hielt er auf Distanz, privat kamen wir – langsam – einander näher.
    Er kaute an Worten, die er nicht sagte.
    »Du solltest in ein Sanatorium«, schlug ich ihm vor.
    »Vielleicht komme ich bald in ein Sanatorium«, erwiderte er.
    »Wieso?«
    »Bin zur Zeit im Verschiß – es kann sich ändern, kann aber auch nach Dachau führen.«
    »Aber du hast doch Beziehungen zur Partei«, erwiderte ich.
    »Auch nicht mehr die frischsten.« Er ging im Raum auf und ab. »Es ist mir immer nur um das Werk gegangen. Um nichts anderes. Nun ist es zerstört, mindestens zu sechzig Prozent. Ich weiß nicht, ob der Krieg noch etwas übrigläßt. Für mich jedenfalls nicht. Für mich ist es aus, so oder so.« Er goß sich nach. Seine Hand zitterte. »Du hast zu viel von deiner Mutter«, sagte er. »Ein ordentlicher Geschäftsmann wirst du nie.«
    »Nun geht's, in Rußland zum Beispiel, gar nicht so kommerziell zu«, spottete ich.
    »Der Krieg ist verloren«, erwiderte er, »das steht fest. Fragt sich nur, wieviel noch in Scherben fällt, bis die Scheißbande …«
    Er war zornig, weil sie ihn im eigenen Haus zunehmend entmachteten. Es machte mir Spaß, ihm das rote Tuch vorzuhalten:
    »Du hast den Braunen doch vor der Machtergreifung Geld gegeben«, reizte ich ihn weiter, »damit sie an die Macht kommen

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