Auf dem Rücken des Tigers
England gekrönt und starb Stalin. Physisch wenigstens, denn der rote Zar würde genauso überleben wie der braune Führer, verwesend und abwechselnd würden die Diktatoren siegen: in Korea und in Indochina, in Algerien und in Ungarn, in Südafrika und in Südtirol. Zunehmend würden sie einander besser verstehen und sich vertragen, würden sie sich aus ihren Pseudogräbern Beifall zublinzeln, bei jedem Schuß, bei jedem Mord, Arm in Arm, der eine braun, der andere rot, und würde man die Farben vermischen, käme Scheiße heraus, und so röche es dann auch.
Über die Verhältnisse in Deutschland war ich schon in den Staaten gut informiert gewesen; theoretisch durch meine Mitarbeit an amerikanischen Zeitungen, praktisch durch Erik, meinen Bruder, der mich in New York ein paarmal besucht hatte und es schließlich aufgeben mußte, mich zum Amtsantritt meines Miterbes – Erik, Georg, der Älteste, und ich waren durch das Testament zu gleichen Teilen als Statthalter des Konzerns bestellt worden – zu überreden.
Der alte Schindewolff war ein paar Monate vor Kriegsende, sozusagen planmäßig, gestorben. Seltsam: seitdem ich wußte, daß er nicht mehr lebte, konnte ich ihn in Gedanken meinen Vater nennen. Es war, als hätte ihm der Tod posthum eine Art Würde verliehen, obwohl ich sonst den Tod in jedem Fall und bei jedermann für unwürdig halte.
Sein Lebenswerk, wie Heinrich Schindewolff es zu nennen pflegte, hatte ihn überlebt, freilich in einem schrecklichen Zustand; aber Erik, und vor allem Georg, hatten bald die Verluste wieder ausgeglichen und aus rauchgeschwärzten Ruinen moderne Fabrikhallen entstehen lassen.
Ich hatte aus der Ferne mein altes Land beobachtet, seine Tüchtigkeit, was die Wirtschaft, und seine Unfähigkeit, was die Politik betraf; ich wollte mich heraushalten und geriet doch in die Mühlen der Widersprüche, zumal der zu seiner alten Mutter aus Schweden in die Staaten gezogene Gersbach mich unfreiwillig dazu anspornte.
Er war einer von diesen jüdischen Romantikern, die das Herz nicht von dem Land lassen konnten, das ihnen so viel angetan hatte; er mochte nicht abwarten, was aus Western Germany würde.
Ich schickte Daniel Gersbach als meinen Bevollmächtigten zum Schindewolff-Konzern voraus. Eigentlich war es eine zorngeborene Spontan-Idee, aber damit tat ich, wie Erik und Georg bald bestätigten, unserer Firma mehr Gutes, als wenn ich mich selbst an die Hebel der Macht gesetzt hätte. Daniel war zugleich ein sentimentaler Träumer wie ein hartgesottener businessman, eine abenteuerliche Mischung; Abenteuer haben mich von jeher angezogen.
Nicht nur Erik war Stammgast in New York; Wolfgang war über den großen Teich gezogen und arbeitete in einem Krankenhaus. Besessen wie er war, hatte er bald ein US-Ärzte-Diplom geschafft und war nach kurzer Tätigkeit in der Mayo-Kiinik als Stationsarzt an eine New Yorker Klinik übersiedelt.
Wir lebten zusammen in einer gemeinsamen Wohnung.
Ich war meistens unterwegs zwischen den Kontinenten, und Wolfgang machte Überstunden, ein Besessener, verfolgt von Hunderten abgesägter Gliedmaßen, von Kunstfehlern, von der Verschrottung des Menschen durch den Krieg, an dem er nicht mehr Anteil gehabt hatte als ich. Sein medizinischer Wiedergutmachungskomplex entsprach dem Wahn, ein Arzt könne mehr sein als eine Verlängerungsschnur des Lebens.
Ich lachte ihn aus.
Er wurde zornig.
Davon abgesehen hingen wir so aneinander, daß für Dritte kein Platz war.
Ich war vorübergehend nach Deutschland zurückgekehrt, um eine Reportage über das Wirtschaftswunder zu schreiben, wofür der Schindewolff-Konzern ein Musterbeispiel war.
Nach einem kurzen Besuch in Frankfurt hatte ich meine Heimatstadt aufgesucht. Ich wollte mich hier ein paar Wochen umsehen, aber es wurden Monate, denn so lange brauchte ich, um Aglaia zu verführen.
Ich war bei den frivolen Schwedinnen ausgekommen und den zärtlichen Französinnen; ich hatte mich von Amerikanerinnen nicht über Gebühr strapazieren lassen und war sogar den Fallstricken einer brasilianischen Mulattin entwischt – um ausgerechnet bei Aglaia hängenzubleiben.
Aglaia war Bamberg, und ich fing Feuer für die eigene Heimatstadt. Es schien mir die gleiche Albernheit zu sein, wie sich in die eigene Frau zu verlieben. Dieser Vergleich war ein Rest Frivolität – schon auf der Flucht. Des Musiklehrers Töchterlein begann mich umzukrempeln wie eine Dekorateurin die Auslagen bei Saisonwechsel.
Manchmal betrachtete ich
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