Auf dem Rücken des Tigers
Feldlazarett, weil man seinen Professor und Chefarzt nach dem Attentat vom 20. Juli verhaftet und am Fleischerhaken aufgehängt hatte.
Es sollte lange dauern, bis ich nach Deutschland zurückkam: Ich war ein Heimkehrer, aber ich betrat die vertrauten Gassen und verspielten Plätze wie ein Eroberer. Vor mir lag meine Heimatstadt. Der fröhliche Domberg. Schön, heil, gesund und satt. Vor allem satt. Satt war sie immer gewesen, und satt macht zufrieden. Es schien mir, als könne sich eine gegenwärtige Vergangenheit kein schöneres Kainszeichen zulegen.
Viele kannten mich, noch mehr wollten mich kennenlernen. Erst nach Tagen merkte ich, daß ihnen ein wenig doch der Mister-Komplex in den Knochen lag. Ich kam aus den Staaten, 31 Jahre alt, mit den ersten Erfolgen im Beruf.
Ich war Journalist geworden; in Stockholm hatte ich mich bereits für Zeitungen interessiert. Ausgestattet mit einem schwedischen Behelfspaß war ich nach dem deutschen Zusammenbruch ziemlich mühelos in die Staaten gekommen.
Die Amerikaner hatten mich in ihrer selbstlosen Gastfreundschaft herumgereicht, und so war ich ohne Schwierigkeiten bei einigen Zeitungen untergekommen. Mit kleineren Reportagen hatte ich mir im Land selbst die ersten Sporen verdient.
Schließlich war es mir gelungen, nach Ausbruch des Korea-Konflikts nach Ostasien entsandt zu werden. Ich wollte den Krieg am Yalu als Zaungast erleben, geriet mit einer US-Einheit in einen Hinterhalt, wurde im Gefangenenlager einer Gehirnwäsche unterzogen, bis uns ein türkisches Bataillon im Alleingang wieder herausgehauen hatte.
Meine Erlebnisse in Korea und in den Staaten zählten bei den Mitbürgern von einst und Gastgebern von heute wenig; wichtiger war es, daß ich als Miterbe des Schindewolff-Konzerns herumgereicht wurde.
Was waren schließlich ein paar Reportagen in Time oder UFE, gemessen, an einem wiedererstandenen deutschen Industrie-Konzern?
Nicht nur in dieser Stadt, im ganzen Land las man vorwiegend eigene Erzeugnisse, und diese waren redlich oder schädlich. Man neigte dazu, den Mitarbeiter ausländischer Zeitschriften, selbst nobler, für einen Vogel zu halten, der das eigene Nest beschmutzte – befangen in dem Aberglauben, in diesem Nest hätte Dreck noch Platz.
Diese Stadt hatte den Krieg fast ohne Wunden überlebt.
Es war zu erwarten gewesen. Es war ihr Schicksal, immer zu überleben. Ein glückliches Schicksal, doch macht es den Menschen gedankenlos und träge. Die Granaten hatten das deutsche Rom verschont, die Besatzung störte die Bevölkerung wenig, denn seit Jahrhunderten zählte ohnedies jeder, der nicht in den Mauern dieser Stadt geboren war, zur Besatzung.
Jedenfalls erlebte ich meine Heimat, in die ich nach acht Jahren Abwesenheit mit einiger Unruhe gekommen war, seltsam immun gegen die Zeit: Sie nahm sie so gleichgültig hin wie im Mittelalter die Hexenprozesse, bei denen nacheinander vier ihrer Bürgermeister auf dem Scheiterhaufen gelandet waren.
Höchstens an den Stammtischen ging der Krieg noch weiter, hier siegten sich die Schwätzer zu Tode, jedoch nur bis 22 Uhr: Danach war Zapfenstreich der Ehe, und über ihn zu wichsen wagten nicht einmal jene Spätsoldaten, die sich so erfolgreich am Zweiten Weltkrieg vorbeigedrückt hatten.
Ich machte die unvermeidliche Bilanz: Mangels Masse brauchten wir kein Klassentreffen mehr zu veranstalten: sieben oder acht Mitschüler hatten überlebt, zwei davon als Oberschenkelamputierte in unreiner Gangart.
Es war Frühling, der Hain ein Garten Eden. Am Weg zu dem Ziergarten standen wuchtige Kastanien Spalier; sie prahlten schamlos mit ihrer hübschen Pracht. Weich knirschte der Sand unter meinen Füßen. Auch das Grab meiner Mutter stand in Blüte, sorgfältig gepflegt, Fernauftrag.
Zwei Quadratmeter und die Erinnerung waren mir von ihr geblieben.
Rankendes Grün beugte sich über die Regnitz, betrachtete sich eitel im Wasserspiegel. Prall und dicht stand der Rasen mit der Tafel: ›Betreten strengstens verboten‹. Ein kleiner Dackel hob das Bein, den Imperativ als Stütze nutzend. Er konnte nicht lesen, und die Spaziergänger liebten die Tiere.
Vielleicht hätte ich im Herbst kommen sollen, um dieser verführerischen Flora nicht zu erliegen. Auch um diese Jahreszeit ist Bamberg schön, aber womöglich wäre ich Aglaia nicht begegnet, oder es wäre nicht mehr daraus geworden als aus anderen Begegnungen mit jungen Mädchen, die hübsch waren und unter wohlerzogener Camouflage nach dem Leben gierten.
Sie saß
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