Auf dem Rücken des Tigers
würden …«
»Wem habe ich kein Geld gegeben?« erwiderte er gereizt. »Und wer hätte noch nie mit Zitronen gehandelt …?«
»Du kannst dir dein Plädoyer aufheben«, fing ich ihn ab, »für die Zeit nach dem Krieg.«
»Nach dem Krieg«, sagte er, »na ja, vielleicht. Ab und zu krieg' ich ja ausländische Zeitungen«, er suchte in der Schreibtischschublade und gab es als zwecklos wieder auf: »Weiß nicht, was nach dem Krieg noch übrigbleibt. Wenn es nach dem alten Morgenthau geht, stehen schon 20.000 Ärzte bereit, um dich und Georg und Erik und eure Altersgenossen zu sterilisieren.« Er trat an das Fenster, sah hinaus. »Ich hoffe nur, daß die Amis so viel von euren Zipfeln stehenlassen, daß ihr die Generation vor euch noch ins Grab pischen könnt!«
Ich kannte meinen Vater jetzt immerhin schon fünf Monate, aber so hatte ich ihn noch nicht erlebt. Nun begriff ich, warum Erik, der wenig für Proleten übrig hatte, dem Alten so viel abgewinnen konnte.
Er war rauh und schlau, weich und brutal; sein Charakterbild hatte so viele Schönheitsfehler wie ein streunender Hund Flöhe, aber er verstand es, uns immer wieder mit seinen Einfällen zu überraschen.
Zu seinem 60. Geburtstag waren einige Verwandte angereist, die bei ihm angefragt hatten, was sie ihm schenken dürften. Der Alte wünschte sich ein Album mit ihren Fotos und rührte sie gleich zweimal: einmal, weil es nicht viel kostete, und zum anderen, weil er sich so familiär gab.
»Nicht die Bohne«, hatte er seinen Wunsch später erläutert: »Ich will das Album nur meinem Portier geben, damit er mir künftig keinen von euch Erbschleichern mehr vorläßt.«
Erik hatte eine schwedische Mutter, die noch lebte, deshalb mobilisierte Heinrich alle Beziehungen, um ihm einen Auslandsurlaub zu verschaffen. Er tarnte ihn als Erzeinkäufer. Der Krautbaron – ich gab es übrigens bald auf, ihn so zu hänseln – hatte praktisch schon die Fahrkarte in der Tasche, als sie darauf kamen, daß seine Verwandten in Karlstad lebten. Die Wehrüberwachung verlangte, daß an seiner Stelle ein anderer Einkäufer nach Skandinavien reiste.
»Leider ist es mit Erik schiefgegangen«, erläuterte mir der Konzernchef seinen Mißerfolg. »Ich werde dich schicken.«
»Aber …«
»Du fährst zu Eriks Mutter und sagst ihr, daß ich alles versuchen werde, ihn heil durch den Krieg zu bringen.« Er bemühte sich zwecklos, sein Gesicht hinter dichten Havannawolken zu verstecken. »Wirst du das tun?«
»Alles, was du willst«, antwortete ich. »Wenn ich nur eine Zeitlang aus Großdeutschland rauskomme.«
»Sechs Monate kann ich dir verschaffen«, sagte Heinrich. »Weiter reicht's nicht … Such auch Daniel Gersbach auf«, bat er mich und schob mir die Adresse eines angeblichen Geschäftsfreundes zu.
Ich wollte sie einstecken.
»Lern sie gefälligst auswendig!« fuhr er mich an.
Ich begriff ihn nicht, aber es war keine Kunst, zwei Zeilen zu behalten. Ich gab dem Alten die Visitenkarte wieder zurück. Er zerriß sie sorgfältig und warf die Schnitzel in den Papierkorb.
Während ich seine Umständlichkeit verfolgte, überlegte ich, ob er nicht vielleicht um diese Zeit schon zuviel Schnaps getrunken hätte.
»Du fährst morgen«, entschied er.
»So pressiert es auch wieder nicht.«
»Sonst überlegen sie sich das noch«, setzte er hinzu. »Und nun hör zu, mein Junge.« Er merkte selbst, daß die Sache mit den Rauchwolken nicht klappte. Er trat an einen Wandschrank, als suchte er Unterlagen. Aber ich kannte ihn jetzt schon so gut, um zu wissen, daß er sich nur abwenden wollte.
»Ich werde Georg, Erik und dich adoptieren.« Er sprach hastig, um es rasch hinter sich zu bringen: »Eigentlich sollte Georg den Konzern allein übernehmen. Aber mein Beispiel zeigt ja, wohin schrankenlose Tüchtigkeit führt – deshalb hänge ich ihm Trimmgewichte an.« Der Alte kam wieder zurück, denn wo er recht hatte, brauchte er seine Augen nicht mehr zu verstecken. »Erik und du – ihr gefallt mir persönlich. Nieten seid ihr beide. Erik ist ein arroganter Fatzke, und du hast alles andere im Kopf, nur nicht mein …«, er spuckte das Wort aus, »Lebenswerk.«
»Um dein Lebenswerk kümmern sich schon hinreichend die angloamerikanischen Fliegerbomben …«
»Erik und du – ihr habt beide mehr ideelle Werte. Erik macht sich nie schmutzig«, erklärte Heinrich seinen Seitensprung von den Geschäftsusancen, »und du …«, er betrachtete mich grimmig, »du kannst nicht lügen.
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