Auf dem Rücken des Tigers
wiewohl sie nicht zu den Frauen gehörte, deren Leben sich in Textil- und Modefragen erschöpfte.
»Du willst nach Indochina?« fragte sie zögernd.
»Ja«, erwiderte ich.
»Fliehst du vor uns?«
»Vielleicht reiße ich vor mir selber aus«, sagte ich und ärgerte mich über meine Antwort. Ich hoffte, daß meine Augen so zurückhaltend sein würden, wie es meine Hände waren.
»Das solltest du dir noch einmal überlegen«, sagte sie.
»Schließlich ist es mein Beruf«, entgegnete ich.
Wenn sie nicht blind und gefühllos war, mußte sie merken, wie es um mich stand. Und daß sie es nicht war, wußte ich nur zu gut. Von Anfang an spürten wir eine stumme Vertrautheit zwischen uns, eine Affinität, deren wir uns so gut es ging erwehrten.
Es ging nicht sehr gut, und deshalb schnappte ich bis zur Erteilung meines Indochina-Visums jeden Auftrag, den ich nur erreichen konnte. Ich fuhr kreuz und quer durch die Staaten, aber ich kam immer wieder nach New York zurück, wo die Redaktionen meiner Zeitung und Zeitschriften etabliert waren.
»Vertragt ihr euch?« fragte Wolfgang, als er an unseren Tisch trat. »Ich muß gleich wieder weg.« Er klopfte mir auf den Rücken. »Ist nett von dir, daß du dich um Laura kümmerst.«
Ich suchte ihren Blick.
Sie wich mir aus.
Er schnitt sein Steak in grobe Stücke, schlang es hinunter, mit den Gedanken bei einer Krankengeschichte, ohne zu merken, daß unsere Leidensgeschichte beginnen müßte, wenn er Laura weiterhin so vernachlässigte.
Er sah überarbeitet aus, müde. Er hatte eigentlich den gleichen Ausdruck im Gesicht wie damals in Rußland. Und er würde wohl immer und ausschließlich Arzt bleiben. Selbst noch an der Seite einer schönen Frau, die sein bester Freund begehrte.
Ich war zornig auf ihn, aber bevor ich es Wolfgang spüren lassen konnte, war er schon wieder weg.
»Du irrst«, sagte Laura, die sich bereits auf mein Gesicht verstand, »ich wußte, wen ich heirate.«
»Warum hast du ihn dann geheiratet?« fragte ich.
»Ich wollte mich schützen, vor mir selbst.«
»Das versteh' ich nicht.«
»Ich habe die gleiche Veranlagung wie du«, erwiderte sie. »Denselben Hunger auf das Leben. Und das als Frau – begreifst du mich jetzt?«
»Besser«, entgegnete ich.
Wir verließen das Hickory-House und arbeiteten uns durch eine kleine Seitenstraße mit vielen Bars. Laura trank viel für eine Frau, zu viel vielleicht, aber ich war ein denkbar schlechter Beckmesser, zumal bei Alkohol. Ihr Temperament sprudelte, und ich ertappte mich bei der Frage, was Wolfgang mit ihm anzufangen wüßte.
Nach der dritten Stampe fragte ich sie danach.
»Nicht viel«, erwiderte sie. »Aber ich trinke zu Hause keinen Tropfen.«
»Schlimm«, sagte ich, ging ans Telefon und rief seine verdammte Klinik an.
Ich wurde nicht verbunden, denn er war im Operationsraum, säbelte an eitrigen Blinddärmen herum oder schnitt Tumore heraus, obwohl der ganze Körper seines Patienten schon von Metastasen durchsetzt war, oder er flickte Verunglückte wieder zusammen, mit geschickten, besessenen Händen, als läge in ihnen allein das medizinische Heil, als gelte es nur, Taugenichtse zu retten, wie weiland einen gewissen Christian Gerber.
»Nicht erreichbar«, sagte ich zu Laura. Sie nickte stumm. Wir tranken weiter. Jeder behielt seine Gedanken bei sich, und beide stemmten wir uns dagegen, daß sie sich miteinander vereinigen könnten, sich zu Worten formieren, die wir uns nicht sagen durften.
»So«, sagte ich, »und jetzt home sweet home.«
»Noch eine Pinte«, bat sie, aber ich blieb unerbittlich und meine Augen wurden, da ich schon zu viel getrunken hatte, naß über meine eigene Großmut.
Ich brachte sie nach Hause, wir küßten uns flüchtig, das erste Mal.
»Bis morgen«, rief sie, bevor sie im Haus verschwand.
Es wurde ein verdammter Morgen, einer dieser ekligen Tage, bei deren Erwachen man die Nacht in Händen hat wie einen abgerissenen Koffergriff und das Gepäckstück noch irgendwo in einer Bar herumsteht, beladen mit Ballast, mit Edelmut, mit toten Vorsätzen und verlogenen Hoffnungen.
Ich schluckte Aspirin und telefonierte mit Washington.
»Nächste Woche«, sagte ein Beamter der französischen Botschaft, und diese stereotype Antwort war mir schon so geläufig, als käme sie von einem Tonband.
Ich klapperte meine Redaktionen ab: keine Brandstiftung, kein Mord, kein Rassenkrawall, keine politische Tagung.
Für eine private Ferienreise fehlte mir die Ruhe und die Nähe der
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