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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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aufgerufen.
    Als ich vom Flughafen in mein Appartement zurückkehrte, fand ich die telegrafische Mitteilung des Pariser Quai d'Orsay vor, daß mein Einreisevisum bereitläge.
    Nach einigen Telefonaten erhielt ich einen freien Platz in einem Nachtflugzeug. Die Schutzimpfungen hatte ich schon vorsorglich erledigt und auch die Formulare an der französischen Botschaft unterschrieben, daß ich mich an die Weisungen des Oberbefehlshabers halten und nicht versuchen würde, unzensierte Berichte aus Indochina herauszuschmuggeln.
    Ich wollte ohne Abschied verschwinden; drei oder vier Stunden, die mir noch blieben, hielt mein Vorsatz. Aber dann läutete ich doch Laura an, und sie nahm den Hörer so prompt ab, als hätte sie auf den Anruf gewartet.
    »Ich fahre«, sagte ich.
    Sie antwortete nicht.
    Dann fragte sie leise: »Wann?«
    »In einer guten Stunde«, antwortete ich.
    »In einer schlechten«, erwiderte sie. »Ich bring' dich zum Flugplatz.«
    Dann saß ich neben Laura, die mich mit ihrem alten Chevy zum Airport Idlewild chauffierte. Ich sah auf ihre schmalen geschickten Hände und spürte eine Gänsehaut im Rücken, als streichelte sie mich.
    »Ich verstehe von diesen Dingen nichts«, sagte ich, »aber ich glaube, das beste für euch wäre ein – ein Kind.«
    Ich kam mir vor, als spräche ich mit fremder Zunge: »Seht zu, daß ihr es habt, wenn ich zurückkomme.«
    »Sieh zu, daß du zurückkommst«, erwiderte sie.
    Ich drehte mich nicht nach Laura um, trotzdem sah ich sie während des ganzen Fluges auf der Aussichtsplattform stehen.
    Der Wind vergriff sich an ihren Haaren, nagte an ihrem Rock, kühlte ihr Gesicht, streichelte ihre Beine, und je weiter mich das Flugzeug von ihr wegschaffte, desto näher schien ich ihr zu kommen.
    Es war eine Täuschung, doch da sie mir Hautnähe verschaffte, überließ ich mich der Illusion.
    Und als die Kiste in Orly aufsetzte, dachte ich an sie, und als mir der Beamte des französischen Außenministeriums noch einmal ins Gewissen redete, dachte ich an sie, und als wir in Karatschi zwischenlandeten, dachte ich an sie, und als wir endlich in Than So Nut, dem Flugplatz von Saigon, landeten, dachte ich noch immer an Laura.
    Wir wurden gründlich und kleinlich abgefertigt.
    Zuerst ließ man die Urlauber und dann die Franzosen das Land betreten. Später waren die Ausländer an der Reihe und zuletzt die ausländischen Journalisten.
    Ich sah vom Schalter weg über die Halle, betrachtete das asiatisch-europäische Durcheinander einer Stadt, die noch jahrelang den Zeitungen Schlagzeilen gleich Wunden aufdrücken würde, einer Stadt, in der die Blumen nicht duften und es keine Vögel gibt.
    Man sah sie buntgefiedert als Stickereien auf den Kleidern der Vietnamesinnen, die hübsch waren und ihre Würde wahrten oder hübsch waren und sich für einen Hundert-Piaster-Schein verkauften.
    Noch immer war der Mann vor mir nicht abgefertigt.
    Und dann sah ich eine Frau, die Lauras Größe, Lauras Gang und ihre Gelassenheit hatte. Sie war mitten im  Gewimmel der Menschen, ein bunter Fleck, und sie kehrte mir den Rücken zu.
    Ein junger Mann mit einem Fahrrad fuhr vorbei; kurz vor ihr sprang er ab. Bevor ich noch begriff, was es bedeuten sollte, explodierte die als Luftpumpe getarnte Plastikbombe.
    Einige Passagiere waren schon auseinandergeflitzt, bevor das Krepieren des Sprengkörpers zu hören war.
    Der französische Zollbeamte drehte müde den Kopf und ließ den Mann vor mir ziehen.
    Dann betrachtete er mein Visum.
    Der Vietnamesin mit Lauras Gang, ihrer Größe und ihrer Gelassenheit hatte es die Halsschlagader zerrissen. In einem dicken Strom rann das Blut über ihr weißes Kleid, dann über die Handtasche, rann in die blau-schwarzen Haare, die erst jetzt zu sehen waren, und mit jedem Schlag pumpte das sterbende Herz den Lebenssaft aus dem zerrissenen Körper.
    Auf den Gesichtern der Umstehenden las ich das Todesurteil der Verletzten.
    »Bienvenu«, bot der Beamte mir einen abgestandenen Willkommensgruss, klappte meinen Paß zu und reichte ihn mir zurück.
    Er folgte der Blickrichtung meiner Augen.
    »Daran werden Sie sich gewöhnen müssen, Monsieur.«
    Er machte eine gleichgültige Bewegung mit den Schultern.
    Ich steckte den Paß ein.
    Die Tote war weggetragen worden.
    Während ich ging, sah ich noch, wie ein Flugplatz-Bediensteter mit Sägespänen die Blutlache austrocknete, die sie zurückgelassen hatte.
    Die Saalrevoluzzer hatten sich zurückgezogen. Von weitem verkündete eine Polizeisirene,

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