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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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daß gleich wieder Ordnung und Zucht in Aglaias Kerzensaal einziehen würden. Der grelle Ton machte den Versammelten Mut. Der Bundeswehrgeneral wurde zackig und suchte zielbewußt im Garten nach feindlichen Versprengten. Der berühmte Prediger ergriff auch ohne Kanzel das feurige Wort.
    Christian lag leblos am Boden.
    Sein Gesicht war wachsgelb. Die umschatteten Augen steckten tief in den Höhlen. Hart wie bei einem Toten waren die Backenknochen hervorgetreten. Hilflose Menschen standen in betroffener Schadenfreude herum.
    Jutta hatte einige Damen wortlos und grob die Nerzstolen von den Schultern gezogen und Christians Kopf darauf gebettet. Sie kniete neben ihm, als Erik unter den Gästen einen Arzt gefunden hatte.
    Der Mediziner hörte die Herztöne ab, fing Juttas fragenden Blick auf und beantwortete ihn stumm: Christian lebte noch.
    »Kreislaufkollaps«, sagte er dann.
    »Wird er – wird mein Schwager durchkommen?« fragte Aglaia.
    »Das kann man nicht wissen«, entgegnete der Arzt.
    Der Ambulanzwagen kam sofort. Vorsichtig wurde Christian auf einer Bahre aus dem Saal getragen. Jutta wollte in den Sanitätswagen einsteigen. Erik hielt sie zurück.
    »Wir fahren hinterher«, sagte er. »Im Krankenhaus ist alles bereit und Professor Wettersbach verständigt.«
    Es war eine moderne Klinik auf einer Anhöhe, mit Zuschüssen des Konzerns erbaut und deshalb, auf Aglaias Wunsch, so nahe an dem Barockschloß, daß die Wohltätigkeit deutlich sichtbar blieb. Vielleicht rettete dieser Umstand jetzt Christian das Leben.
    Jutta hoffte es. Sie erfaßte Eriks Sorge und wunderte sich, wie Christian ihm hatte mißtrauen können. Der amtierende Konzernchef hing an seinem Bruder, und Jutta spürte, daß sie begann, ihn zu mögen, obwohl Erik rein äußerlich ein Typ war, den sie sonst nicht leiden konnte.
    Sie passierten den Einsatzwagen der Bereitschaftspolizei. Uniformierte mit Tschakos sprangen vom Lastwagen. Ihre Silhouetten wirkten martialisch. Deutlich sichtbar waren die Schlagstöcke in ihrer Hand. In den ersten Sekunden des Einsatzes sah es aus, als wollten sie mit ihren Gummiknüppeln auf Herren im Smoking und Damen in Abendroben eindreschen.
    Sie umstellten das Barockschloß, zogen den Kreis immer enger um die Rebellen, die sicherlich längst im Dunkel der Nacht verschwunden waren und womöglich in der nächsten Dorfkneipe mit Coca-Cola ihre Art Salamander rieben.
    Christian wurde in das Krankenhaus getragen, Jutta und Erik ins Vorzimmer des Ordinationsraums abgeschoben. Schließlich rang sich der Professor als Belohnung ihres Rückzugs unverbindliche Trostworte ab.
    Unschlüssig standen sie wieder vor dem Portal.
    »Besten Dank für Ihre Hilfe«, sagte Erik zu Jutta.
    Sie nahm an, daß er im Schloß gebraucht würde, sagte aber trotz ihrer Überraschung nichts, als er den Fahrer mit einem Kopfnicken entließ und sich ans Lenkrad setzte, um in entgegengesetzter Richtung zu fahren.
    Jutta tastete Eriks Gesicht von der Seite ab. In seiner kühlen Distanz wirkte die Miene beinahe blasiert.
    »Werden Sie als Gastgeber jetzt nicht im Schloß benötigt?« fragte sie.
    »Gastgeber ist meine Frau«, entgegnete er.
    Sie erreichten das Hotel.
    »Nehmen wir noch einen Drink?« fragte Erik.
    »Gerne.«
    Sie waren die einzigen Gäste in der Hotelbar, aber sie merkten es nicht.
    »Schlimm, der Skandal?« fragte Jutta.
    »Skandal?« erwiderte er. »Da kennen Sie Aglaia – da kennen Sie meine Frau schlecht.«
    Ein Lob, das tadelt, hörte Jutta heraus. Sie betrachtete Erik interessiert.
    Der Keeper bediente sie stumm. Aufdringlich lautlos verließ er den Raum.
    »Gehen wir noch an die frische Luft?« fragte Erik.
    Jutta stieg vom Barhocker.
    »Falls Christian durchkommt, wird er in die Müller-Klinik nach Starnberg gehen«, sagte das Mädchen. »Er hat es mir versprochen.«
    »Ich helfe nach«, entgegnete Erik.
    Wortlos gingen sie nebeneinander her, zwei Schatten, verwoben zu einem, vermählt von der Nacht.
    Erik hängte sich bei ihr ein, erlaubte sich eine Berührung, wie er sie sonst mied. Bei allen Frauen. Bei Menschen überhaupt. Er haßte Intimitäten, Hautnähe, Körpergeruch. Gelegentlich streiften sich ihre Schultern.
    Erik spürte nichts dabei. Auch nichts, was ihm unangenehm gewesen wäre. Er gestand es sich ungern ein. Er war gewöhnt, sich ebenso mit Logik zu sezieren wie seine Umwelt. Nun glich er einem Arzt, einem Anatomen, der die Diagnose längst gefunden hatte und trotzdem andere Symptome suchte, um sie umzuwerfen: um

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