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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Auto aufgebrochen. Sie warfen sich darüber Andeutungen zu; sie verfügten über mehr Stolz als Beute.
    Ein Polizist betrat die Bude. Sie verstummten. Als dem Streifenmann ein zweiter folgte, war nur noch das Surren des Ventilators zu hören. Er rauschte wie ein Mühlbach. Die Rockers zogen die Köpfe ein. Die beiden Polizisten griffen wahllos eine Lederjacke.
    »Los, komm mit!« sagten sie.
    Der Junge ließ sich wortlos abführen; gleichzeitig verstummte der Ventilator wieder.
    Der Keeper betrachtete mich prüfend, als ich nachbestellte. Eine 20-Dollar-Nutte schob sich heran. Sie verhieß mit einer langen spitzen Zunge sexuelle Spezialitäten. Ein weiblicher Leutnant der Heilsarmee redete auf sie ein.
    Alle lachten und schrien durcheinander mit Gesichtern, die der Schnaps zu Fratzen machte. Sie sahen fahl aus und ungut; Leichen auf Urlaub. Das wären wir wohl alle, ob wir es wahrhaben wollten oder nicht. Ein Transvestit lud mich ein, an sein falsches Geschlecht zu greifen.
    Die Nacht war noch nicht zu Ende. Warum haben die Schweine keine Polizeistunde? Und warum soff ich, wo ich doch morgen ein seltsames Erlebnis haben würde. Ich, ein gewohnheitsmäßiger Abenteurer, an einem Ort, den ich sonst mied, herausgeputzt, zur Rechten des Bräutigams. Ich schmeckte den Weihrauch im Mund. Die elektrischen Birnen flackerten wie Kerzenlicht, und eine alberne Stimme sagte monoton und immer wieder: »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.«
    »He«, stieß mich ein Schlepper an, »suchst du was zum Pimpern?«
    Er schnalzte mit der Zunge.
    Ich stieß ihn weg.
    Ich ging nach draußen. Die Luft wirkte berauschend. Ich lief mit unsicheren Schritten und streifte wiederholt die Hauswand. Aber ich hatte es nicht weit. Auf der anderen Seite der Straße war die nächste Station.
    Ein Neger blies ins Saxophon. Sein Gesicht schwoll an. Ich trat näher, um zu sehen, ob ein schwarzes Gesicht rot werden könne. Als ich dicht bei ihm stand, hörte ich die Melodie und erstarrte: Aus dem Instrument kamen Schmerz und Haß, Trauer und Angst.
    Bald winselten die Töne wie gepeitschte Negersklaven, dann schwollen sie rhythmisch an zu einem mächtigen Marschtritt der Entrechteten. Sie prasselten aus dem Instrument wie die Flammen brennender Warenhäuser, gingen über in das Stakkato von Mau-Mau und Ku-Klux-Klan. Der Mann blies und blies und blies. Es sah aus, als müßten seine Lungenflügel zerreißen, zu angespannt von diesem Leben. Seine Augen waren verdreht, sein Gesicht verzerrt.
    Unvermittelt mündeten die Töne in eine stille Weise, sakral, endgültig.
    Er quetschte den Ton zu einer Trauerklage, dann spuckte er wütende Synkopen aus, den Zorn der Ohnmächtigen, trieb ihn nach oben an die äußerste Grenze.
    Es hörte sich an wie der Todesschrei eines Gelynchten.
    Er spielte weiter, ein Mann allein, einer, der seinen Henkern und Folterknechten nichts entgegenzusetzen hatte als ein Lied, das Taubstumme noch hören müßten, wären sie nicht auch noch mit Blindheit geschlagen. Er konnte nicht aufhören, vermutlich mit Marihuana vollgepumt bis oben hin, er mußte hinausbrüllen, was er außerhalb Harlems nur flüstern durfte.
    Einige klatschten, andere unterbrachen ihr nichtiges Gespräch und horchten in sich hinein, verfolgten betroffen die Weise vom Menschen zweiter Klasse.
    »Hör auf, Neger«, sagte ein Betrunkener und schüttete seinen Schnaps in das Instrument.
    Der Farbige blies weiter.
    Die Tropfen zerplatzten im aufgedunsenen Gesicht des Attentäters. Es sah aus, als weinte er mit lachendem Gesicht.
    Dann fuhr er dem Saxophonisten an den Kragen.
    Bevor er ihn noch würgen konnte, traf ihn meine Faust, die ich schon in der Tasche geballt hatte, traf ihn am Kinn, mächtig und befreiend. Der Schlag schleuderte ihn zurück, über Stühle und Hocker hinweg, der Whisky tropfte in Nerzjacken, lief über Homburgs.
    Der Farbige blies weiter.
    Auf einmal ging jeder auf jeden los. Sie droschen auf Köpfe und Schultern ein, wälzten sich am Boden, bis der Gummiknüppel des Keepers sie langsam niederstreckte, mich zuletzt und gerade noch soweit bei schmerzhaftem Bewußtsein, daß ich merkte, wie sie mich in einen Polizeiwagen verluden und in ein Revier karrten.
    »Schlaf dich aus, mein Junge«, sagte ein fetter Polizist mit einem gutmütigen Gesicht und knallte mich mit einem Fußtritt gegen die Wand. »Was meinst du, wie sich der Schnellrichter auf dich freut.«
    Ich schaffte es, als erster vorgeführt zu werden. Schon um neun Uhr. Ich

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