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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Gott.
    Dr. Wolfgang Müller stapfte ungebremst durch das Haus, bekämpfte Föhnbeschwerden mit groben Reden und Föhn-Depressionen mit Coffein-Präparaten, die er selbst nicht nehmen durfte: Coffein geht aufs Herz; gerade heute signalisierte es ihm warnende Stiche, wenn nicht schmerzende Beschwerden. Die Schmerzen kamen, die Schmerzen gingen, und Dr. Wolfgang Müller blieb in seiner Klinik.
    Schon am Vormittag wirkte er abgespannt; er hatte heute mehr Zeit für seine Visite benötigt als sonst. Nun kam er zu seinem letzten Patienten, der sein erster war: zu Christian, dem Narren, dem Freund.
    Der Arzt hatte ihm die beste Krankenstube seines Hauses überlassen, aber er wußte, daß dieser Patient sie als Zelle bewerten und sich bestenfalls als Gefangener fühlen würde, dem die seltsame Freundschaft mit dem Strafanstalts-Direktor einige Hafterleichterungen verschaffte.
    Entgegen seiner Gewohnheit setzte sich der Sanatoriumsleiter.
    »Du siehst müde aus«, sagte Christian.»Vielleicht legst du dich zur Abwechslung selbst mal in eines deiner Zwangsbetten.«
    »Der Föhn«, antwortete Wolfgang, »die oberbayerische Dauerausrede.« Er lächelte knapp. »Sieh nicht so ergeben in die Gegend«, griff er den Freund an. »Entweder du unterwirfst dich freiwillig meiner Kur oder du gehst zum Teufel.«
    »Alles zu seiner Zeit«, entgegnete Christian, »und die Freiwilligkeit hat verschiedene Aspekte.« Er griff in die Tasche, um eine Zigarette zu fischen, mürrisch begreifend, daß sie ihm untersagt war und er keinen seiner Wärter bestechen könnte.
    Wolfgangs Methoden waren einfach. Man nahm den Insassen die Kleidungsstücke weg, verpaßte ihnen Holzpantinen und eine gestreifte Gesundheitsuniform, schuf eine Bannmeile für Zigarettenautomaten, Espressomaschinen und Stehausschänke und ersetzte bohrende Suchtwehen durch medizinale Erbauungssprüche. Wer es überlebte, wurde gesund und konnte Rekonvaleszenz anhäufen, die er dann mit beiden Händen ausgeben würde, wenn er erst wieder in freier Wildbahn wäre. Wie Christian meinte, hatte alles seine Ordnung. Wolfgang tat Gutes, der Patient erhielt Gesundes, und die Schnapsbrennereien und Zigarettenfabriken würden daran nicht bankrott gehen.
    »Sei unbesorgt«, sagte er zu Wolfgang, »ich habe es versprochen und bin entschlossen, deine brutalen Exerzitien bis zum bitteren Ende durchzustehen.«
    Während des Gesprächs machte der Chefarzt massierende Bewegungen in seiner Herzregion; er unterließ es, als ihn Christians verwunderter Blick warnte.
    Wolfgang kannte den Freund gut. Er hatte auch allen Grund, ihn gut zu kennen. Seit der Sache mit Laura benahm sich Christian wie ein Wrack, das sich selbst versenken wollte. Und nicht unterging. Noch nicht. Wieder nicht.
    »Ich pfeife auf deine Gegenwart«, sagte er dann, »wenn ich nicht deine Zukunft haben kann.«
    »Ach, du lieber Gott«, erwiderte Christian. »Wir haben unsere Vergangenheit, jetzt greifst du auch noch nach meiner Zukunft.«
    »Ich habe bisher als Arzt gesprochen«, versetzte Wolfgang. »Jetzt rede ich als Freund.« Er stand auf, erhob sich drohend, als könnte er über seine untersetzte Größe hinauswachsen.
    »Wenn wir uns nicht einigen«, sagte er, »kannst du dir sofort deine Klamotten bringen lassen und rauchen und saufen, was das Zeug hält.«
    »Klingt gut«, entgegnete der Freund und lächelte entsagend.
    »Ich möchte«, sagte der Chefarzt, »daß wir wieder so zueinander stehen, wie wir immer zueinander gestanden haben.«
    »Einverstanden.«
    »Ich möchte, daß du dir von mir helfen läßt.«
    »Das ist dein Beruf«, spottete Christian, »und dein Beruf ist dein Schicksal.« Seine Stimme klang hämisch: »Und manchmal ist dieses auch glücklich.« Er sah Wolfgangs Zorn und brach ab. Auf ein Geschehen anspielend, hatte er ein Tabu gebrochen, das sie beide noch im Würgegriff hielt und ihnen die Entfremdung eingebrannt hatte.
    »Du bist aus der Klinik entlassen«, antwortete Wolfgang ruhig. »Du ziehst in mein Privathaus um. Du kannst tun und lassen, was du willst. Ich werde dir nicht mehr mit dem verhaßten weißen Kittel begegnen.« Er lächelte. »Du kannst weiß nicht leiden – farblich komme ich dir gerne entgegen.« Sein Lächeln wurde steif. »Ich weiß, daß deine Gesundheit nicht mehr viel wert ist, ich weiß aber auch, daß du gesund würdest, wenn du nicht mehr an Laura dächtest.«
    Nun hatte Wolfgang sein Tabu gebrochen. Über Laura war nicht mehr gesprochen worden. Seitdem nicht mehr über

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