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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Aramin herüber«, bat er, »und vielleicht noch etwas Dilaudid und ähnliche Präparate.«
    Eine Schwester brachte die Medizin. Der Chefarzt zog eine Spritze auf und gab Anweisung, den Kamin anzuheizen. Er legte sich nieder, dabei hörte er Christian einziehen.
    Am selben Abend saßen sich die Freunde gegenüber, in einem dämmerigen Raum, als fürchteten sie das Licht, während sie sich ihrer Angst vor Gefühlen zu erwehren hatten.
    Christian betrachtete den Freund. Das Leben hatte sie durcheinandergeschüttelt wie Eiswürfel im Shaker, aber sie waren nicht geschmolzen in dem Aberglauben, es geblieben zu sein.
    Erinnerungen wurden wach, durchzuckten das Bewußtsein, sie vergröberten und vergrößerten, sie machten in der einen Sekunde Wolfgang alt und Christian jünger, um im nächsten Moment umgekehrt zu verfahren.
    Sie schwiegen noch immer.
    Christian ließ den Freund nicht aus den Augen. Wolfgang hatte sich doch verändert. Er war älter geworden, seine Vitalität schien jetzt erlahmt. Es verjüngt nicht, wenn Freunde die gleiche Frau lieben und dabei von unteilbaren Gefühlen stranguliert werden.
    Wolfgangs Augen steckten tief in den Höhlen. Schwarze Schatten lagen darunter. Es verjüngt nicht, wenn die Rivalen weder auf die Frau verzichten, noch sich ihrer Freundschaft begeben wollen.
    Wolfgangs Wangen waren eingefallen, sein Gesicht von Falten wie von Spinnfäden durchzogen. Es verjüngt nicht, wenn man erlebt, welche Gemeinheit Freundschaft sein kann. Wolfgang wirkte apathisch, als hätte er sich mit Schmerz und Leid abgefunden. Es verjüngt nicht, wenn die Gemeinheit Freundschaft durch eine noch größere Ungeheuerlichkeit überboten wird: durch die Liebe.
    Christian sah immer noch Wolfgang an, und es war ihm, als betrachtete er sich selbst in einem Spiegel. Trotzdem kam er sich jünger vor, zum erstenmal seit langem: es war sicher nur die billige Empfindung eines Müßiggängers gegenüber einem strapazierten Tatmenschen.
    Letztlich sahen sie wohl beide älter aus, als sie waren, zumal sie außer Freundschaft und Liebe noch ganz andere Feueröfen überlebt hatten.
    »Warum starrst du mich so an?« fragte Wolfgang.
    »Ich sehe dich selten«, wich Christian aus.
    »Nicht so grundlos«, antwortete der Freund.
    Auf einmal witterte Christian die verheimlichte Sucht des Freundes. Vielleicht war es nur der sechste Sinn des Alkoholikers. Er sah dieses Gesicht ohne Feuer, hörte der Stimme ohne Klang nach. Unvermittelt arbeiteten seine Speicheldrüsen, getrieben von der Sucht.
    Christian stand auf, spürte die Trockenheit im Mund, die Fährte anschnüffelnd.
    Er sah sich um in diesem wohnlichen Ambulatorium, starrte das Waschbecken an mit dem Desinfektionsmittel, die Hausapotheke, den chromblitzenden Sterilisator, die Spritze unter dem Glassturz.
    Sein Blick ging weiter über die Bücher im Regal. Er trat näher, las die Titel. Als er zwischen dieser medizinischen Fachliteratur namenlose Bücher sah, wußte er, was er gesucht hatte.
    Mit einem Griff klappte er die falschen Buchrücken auf. Sauber ausgerichtet, Bauch an Bauch, stieß er auf eine Parade von Flaschen: schottischer Whisky, französischer Cognac, russischer Wodka; angebrochen denunzierten sie mit stiller Geschwätzigkeit den Hausherrn.
    Christian griff nach den Flaschen wie ein Blinder nach dem Stock.
    Die Sucht lag unter seiner Zunge, sie quoll ihm aus der Parotis, sie machte ihn schlucken. Er wollte die Gier ausspucken und verschluckte sich. Seine Zähne drohten zu ertrinken; er hätte wohl einen Speichelzieher gebraucht wie ein Zahnarzt.
    »Prächtig«, sagte er und konnte kaum reden: »Der Bock als Gärtner. Ein Arzt, der seinen Patienten das Trinken verbietet und sich heimlich vollaufen läßt.«
    Mit humpelnden Schritten wankte er an das Waschbecken.
    Wolfgang sah ihn an. Er sagte kein Wort. Er schämte sich nicht. Er schien nicht einmal betroffen zu sein. Er machte das Gesicht eines Taubstummen, der in sich hineinhorcht.
    »Damit ist Schluß, alter Junge!« sagte Christian. Er entkorkte die Flaschen, stellte sie auf den Kopf, preßte seine Finger um die Glashälse, als könnte er sie erwürgen. »Wie du mir, so ich dir.«
    Als die Flüssigkeit in das Becken schwappte, wäre Christian am liebsten mit dem Kopf hineingetaucht, um sie aufzulecken.
    Er ging an die entlarvte Hausbar zurück; in den Triumph, den Freund überführt zu haben, mischte sich die Enttäuschung, daß Wolfgang nicht besser war als er.
    Dann kostete er das Mitleid, wollte den

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