Auf dem Rücken des Tigers
auslotete. Wenn sie ihn zum Mitwisser machte, müßte er schweigen. »Ich fürchte, ich habe den Täter vor Ihnen überführt.«
»Ihren Herrn Schwager Christian?«
»Meinen Herrn Neffen Sebastian«, sagte Aglaia beiläufig.
Der Beamte versuchte seinem Gesicht eine kondolierende Miene aufzuzwingen. Vor Bekümmerung verdrehten sich seine Augen nach innen, während seine Lippen platzten wie eine Seifenblase.
»Rauchen Sie doch«, sagte Aglaia.
»Besten Dank. Dann kann ich also gar nichts mehr für Sie tun?«
»Und ob Sie etwas für mich tun können.« Einen Moment hielt sie sich ihr parfümiertes Taschentuch vor das Gesicht, als störe sie der üble Geruch, den Kudritzkys Beruf ausströmte, das Metier eines Mannes, der berufsmäßig im Leben der anderen herumschnüffelte, Kehrichtgestank. »Ich weiß nicht«, begann sie, »wieweit Ihre Kölner Zentrale in München Einfluß hat …«
»Bayern hat natürlich ein eigenes Landesamt für Verfassungsschutz«, antwortete Kudritzky. »Und gerade die Bayern mit ihrem Föderalismus sind da besonders empfindlich, aber …«, sagte er mit mühsam unterdrücktem Stolz auf seine Möglichkeiten, »ich habe da einen guten Bekannten sitzen, fast einen Freund von …«
»Von früher?« unterbrach ihn Aglaia.
»Wir waren in Polen zusammen.« Er erschrak über den Namen des östlichen Nachbarlandes; als könne er das Wort noch überrunden, setzte er schnell hinzu: »Dienstverpflichtet natürlich bei der gleichen Dienststelle.«
»Polen interessiert mich nicht«, rügte Aglaia fein. »Aber mein Schwager.« Sie schlug die Beine übereinander, lehnte sich ein wenig zurück. Sie war nicht erpicht auf Kudritzkys Reaktion, wiewohl sie diese testete. Sie sah, daß er sofort ansprang, mit einer Miene, die er für züchtig hielt: »Wissen Sie, die Sache ist politisch – und doch eigentlich wieder nicht«, fuhr sie fort.
Aglaia brauchte nicht viel mehr zu erklären, aber sie setzte noch hinzu: »Vor allem ist sie heikel.« Und dann kam sie zur Sache: »Sie wissen, daß mein Schwager ein halber Bolschewik ist?«
»Allerdings.«
»Ich habe gerade mit einem Psychiater gesprochen. Er kennt den Fall. Eine Kapazität. Dieser Mediziner ist der Auffassung, daß diese politischen Ungeheuerlichkeiten im Grunde genommen nur die Symptome eines« – sie wählte das Wort sorgfältig –, »eines unheilbaren Alkoholikers sind.«
»Das würde manches erklären.«
»Dieses Leiden hat wohl ein Stadium erreicht, in dem es selbst- und fremdgefährend ist.« Sie schwieg bewußt. Aglaia wollte, daß ihr Kudritzky unter Missbrauch seines Amts behilflich wäre, aber sie würde es nicht aussprechen.
Die Privatdetektive, die sie auf Christian angesetzt hatte, waren Versager gewesen. Aber Beamte, die von Amts wegen die Telefonleitung anzapfen, Zeugen vernehmen, Spitzel einsetzen, stets im Dunkel operierend, gelegentlich mit einer Andeutung von Landesverrat drohend, im Schutz des Staates mit allen staatlichen Mitteln vorgehen könnten, würden wohl mehr erreichen. Sie könnten gewissermaßen als Abfallprodukt eines politischen Verfahrens, das eingestellt werden müßte, die Fakten zu einer medizinisch-juristischen Prozedur liefern, die einen gefährlichen Gewohnheitstrinker in eine geschlossene Anstalt brächte, vor allem, wenn er Verwandte hätte, die es beantragten, und noch mehr, wenn diese an den Hebeln der Macht säßen. Gelänge Aglaias Coup, dann würde Christian künftig weder Skandale verschulden – noch einen Erben zeugen können.
»Ich werde morgen früh nach München fliegen, gnädige Frau«, sagte Kudritzky.
»Sie können sich auf Ihren – Freund von früher verlassen?«
»Bestimmt, wenn ich unter vier Augen mit ihm spreche.«
»Dann tun Sie es bitte.« Aglaia brauchte keine näheren Erläuterungen zu geben, der Mann würde die Unterlagen, die ihr noch fehlten, apportieren wie ein Schweißhund. Sie durfte zufrieden sein: Mit Erik würde sie fertig werden; Sebastian mit anderen Mitteln gefügig machen und Christian mit einem Schlag erledigen.
Der anhaltende Föhn machte dem Chefarzt zu schaffen. Nicht nur wegen des trockenen Fallwinds, an dem er litt, hatte er Grund, sich zu schonen; doch an der Schonung, die er seinen Patienten abzwang, verging er sich seit langem selbst.
Er wußte es.
Sein überlastetes Herz lehnte sich gegen Raubbau auf. Der Prügel-Müller hätte selbst einen Arzt gebraucht, der ihn mit Gesundheit traktierte, aber in diesen Dingen war er der Herr, sein
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