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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Mädchens begegnete.
    Es war ihm ohnedies die Führung der Verhandlung zunehmend entglitten, aber jetzt wurde Dr. Müllner nicht nur von einem renitenten Angeklagten, sondern offensichtlich auch von einer unbeteiligten Zuschauerin bedrängt.
    Der Vorsitzende faßte sich wieder.
    Er versuchte seiner Stimme einen ruhigen, väterlichen Klang zu geben.
    »Geben Sie zu«, wandte er sich an den Angeklagten, »das Amerikahaus bei einer Demonstration mit roter Farbe beschmiert zu haben?«
    »Ich würde am liebsten auch diesen Gerichtssaal mit roter Farbe beschmieren«, entgegnete der Angeklagte.
    »Die Polizei hatte Sie mehrmals aufgefordert, nach Hause zu gehen.«
    »Die Polizei«, versetzte der Junge und lächelte schräg. »Wissen Sie, wer Tocqueville war?«
    »Ein Franzose«, antwortete der Vorsitzende und ärgerte sich, weil einige Zuschauer laut lachten.
    »Wissen Sie auch, was er geschrieben hat?« fuhr der Junge fort. »In Deutschland finden nie Revolutionen statt, weil die Polizei sie verbieten würde.«
    »Nicht die Polizei, sondern das Gesetz«, ließ sich der Richter auf eine Diskussion ein.
    »Gesetz«, erwiderte der Angeklagte verächtlich. »Dachau, Auschwitz, Maidanek, Buchenwald und so weiter, waren Gesetz. Sie wie Ihre Kollegen handhabten es mit dem Fallbeil.«
    Jutta fixierte den Landgerichtsdirektor: Erik verfolgte ein Duell der Blicke, sah, wie die Augen des Richters flüchteten, wie er einen Moment hilfesuchend nach der Türe sah, durch die er den Gerichtssaal betreten hatte. Er verkündete, daß der Raum von jeglichem Publikum zu räumen sei, auch von dem bestellten.
    »Ich unterbreche die Sitzung, um den Zuhörern Gelegenheit zu geben, den Gerichtssaal zu verlassen.« Dr. Müllner stand auf, stülpte sich das Barett auf den Kopf und verließ, gefolgt von den anderen, gemessenen Schrittes den Raum.
    Jutta betrachtete Erik, als wollte sie aus seiner Miene erfahren, wie er sich zu den Vorgängen im Gerichtssaal stellte. Er merkte, daß sie auf eine Antwort wartete. Während er sie überlegte, umgeben von den anderen, die den Raum verlassen wollten, kam ihnen der Gerichts Wachtmeister entgegen. Er ruderte schon von weitem mit den Händen gegen den Strom, kämpfte sich zu Jutta durch, vor Aufregung schluckend:
    »Der Herr Vorsitzende möchte Sie sprechen«, sagte er.
    Die Umstehenden blieben stehen und stemmten sich gegen das Gedränge.
    »Bitte«, setzte der Gerichtsdiener hinzu, »ganz dringend.«
    »Sagen Sie ihm«, antwortete Jutta, darauf bedacht, daß die Umstehenden, einschließlich der Reporter, sie verstehen würden, »daß wir uns nichts mehr zu sagen haben.«
    Erik sah in stupide Gesichter und in andere, die das Mädchen wie Mitverschwörer betrachteten.
    »Wer ist dieser Vorsitzende?« fragte er.
    »Mein Vater«, entgegnete Jutta, und Erik erschrak über ihr Gesicht.
    Erik war, seit zwei Tagen verschollen, in Frankfurt überfällig. Es war noch nie vorgekommen, trotzdem zeigte sich Aglaia zunächst nicht besorgt. Wenn ihrem Mann etwas zugestoßen wäre, hätte sie es längst erfahren. Erotische Abenteuer durfte sie bei ihm ausschließen, und so wertete sie sein unbegreifliches Verhalten als Turbulenz, die es immer gegeben hatte, wenn Erik mit Christian, seinem liederlichen Halbbruder, zusammengekommen war.
    Aglaia war entschlossen, das Problem Christian nunmehr endgültig zu lösen.
    Es ging ihr nicht darum, daß er vermutlich Sebastian, den Neffen, mit seinen Wahnideen angesteckt hatte; Aglaias Haß hatte subtilere Gründe; sie waren ebenso emotionell wie zerebral.
    Sie haßte ihn, weil sie ihn fürchtete: Wenn man von den Ärzten absah, die zum Schweigen verpflichtet waren, wußte außer ihr nur noch Christian um Eriks Erkrankung. Als Mitwisser müßte er ihren ungewöhnlichen Plänen im Wege stehen.
    Aglaia blieb nicht mehr viel Zeit, wenn sie einen Konzernerben zur Welt bringen wollte. Da ihr Mann als Vater dieses Kindes nicht in Frage käme, war sie entschlossen, andere Wege zu gehen. Ihr zweistufiger Plan sah vor: zuerst Christian unschädlich zu machen und dann Erik die Zustimmung abzuringen.
    Es war ein ungeschriebenes Abkommen zwischen Erik und seiner Frau, daß Aglaia die Schindewolff-Residenz nur dann besuchte, wenn er verreist war. Sie hatte im Hause Einfluß, doch keine etatmäßige Position. Sie kümmerte sich nur um kulturelle und soziale Belange. Dadurch hatte sie Zugang zu beinahe allen Abteilungen des Hauses.
    Aglaia hatte heute schon vor allen anderen den

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