Auf dem spanischen Jakobsweg
dem Starken aus Navarra.
Wie wir dort schon erfahren haben, war er zwei Meter fünfundzwanzig groß, der
stärkste Mann und der beste Ritter seiner Zeit. Und verwegen war er auch. So
soll er einem Maurenführer einfach den Turban vom Kopf gerissen haben. Doch der
Tod war noch stärker als er, noch verwegener, und so attackierte er am Ende
auch diesen starken Mann. Mit dem El Cid, dem furchtlosesten aller Ritter,
waren wir hinausgaloppiert in die Weiten Spaniens, aber in Burgos standen wir
auch vor seiner Grabplatte. In der Totenkapelle, im Pantheon von San Isidoro in
León, standen wir vor den Sarkophagen von elf Königen und zwölf Königinnen. Wie
heißt es dort in Freiburg an der Wand der Totenkapelle?
Zu fahren Zu reuthen der Todt
ist bereuth
Damit er den adel erhalte Zur
beuth
Unvergessen
auch die dreizehn Steinsärge von Königskindern, geschmückt nur mit dem Kreuz
von Navarra, in der Seitenkapelle von Santa Maria la Real in Nájera. Königskinder,
in Samt und Seide gepackt und doch alles vergebens.
Hier schlafft das kindt dort
ewig wacht
Weil ihm der Todt ein Musik
macht
Ein paar
Schritte weiter, in der gleichen Kirche zu Nájera, der Sarkophag einer sterbenden
Königin, einer noch ganz jungen Frau, deren Seele von Engeln in Empfang
genommen wird.
Mit aschen zierth der Todt das
Haubt
Die besser als der puder taugt
Ich sehe
auch die ungezählten, namenlosen Pilger, vor allem in der alten Zeit, die nie
das Grab des Apostels erreicht haben, zumindest nicht mehr ihre Heimat und
jetzt hier auf Pilgerfriedhöfen oder, ihre Gebeine, in den Karnern am Camino
liegen. Die Bilder nehmen kein Ende, jetzt wo hier die Totenmesse für einen von
uns gelesen wird, der gestern mit uns noch über den Camino ging.
Ich habe den
Tod nie verdrängt. Aber das war meist nur ein ferner, abstrakter, statistischer
Tod, ein empirisches Ereignis, das einen veranlassen kann, Versicherungen
abzuschließen, das Rauchen einzustellen, Knoblauch und Körner zu essen,
vielleicht ein Testament zu schreiben und eine Grabstelle zu kaufen. Heute wird
mir, plötzlich und in der Tiefe, der andere Tod bewusst, der existentielle, der
die Frage nach dem Sinn des Lebens, meines Lebens, in mich hineinbohrt. Eine
Frage, die wir Menschen so unterschiedlich beantworten. Immer aber, für uns
alle, in allen Menschen, bleibt ein Stück jener namenlosen Angst, noch am
Kreuz, um die neunte Stunde, das „Eli, Eli, lama asabthani“, mein Gott, mein
Gott, warum hast du mich verlassen.
Es ist still
geworden in der kleinen Kirche Santa Maria, fast alle sind schon weggegangen.
Ein Messdiener bläst die letzte Kerze aus. Es wird dunkel und unheimlich.
Ein grosser
Berg von Steinen, eine Stange aus Holz und ein Kreuz aus Eisen
Wir haben
heute eine Bergetappe von etwa 32 Kilometern vor uns. Dabei müssen wir erst auf
eine Höhe von über 1500 Metern steigen und dann wieder hinunter nach
Ponferrada, das nur noch 540 Meter über dem Meeresspiegel liegt.
Heinz hat,
als erster Pilger überhaupt, die Herberge verlassen, er hat seit Tagen die
Sorge, dass sein Schmerz im rechten Oberschenkel übermächtig werden und er dann
vor unserem Tagesziel in Zeitnot geraten könnte. Tobias und ich brechen,
ebenfalls bei noch völliger Dunkelheit, eine halbe Stunde später auf. Ich habe
vor ein paar Tagen neue Batterien für meine kleine Taschenlampe gekauft und so
können wir ohne große Mühe die gelben Markierungspfeile ertasten, zunächst auf
einem schmalen Feldweg, der uns stetig nach oben, in die Montes de León, führt.
Hinter uns, unten im Tal, sieht man noch vereinzelt ein paar Lichter, die
jedoch zunehmend blasser werden. Schon bald wird, weit im Osten, jenseits von
Berg und Tal, die Sonne über den Horizont springen.
Nach einer
knappen halben Stunde stoßen wir auf ein Asphaltsträßchen, das uns weiter
aufwärts führt. Wir wissen, dass wir in wenigen Kilometern den Ort Foncebadón
erreichen werden. Aber hierzu müssen wir nach einiger Zeit das Sträßchen wieder
verlassen und nach links über einen steilen, steinigen Pfad weiter nach oben
steigen.
Die Häuser
von Foncebadón, einst aus groben Natursteinen errichtet, sind heute meist nur
noch Ruinen, viele Dächer schon eingebrochen und überall, auf den ehemaligen
Fußböden, aus den Mauern und auf den
verbliebenen Dachresten, wachsen Gras und Brennesseln, Efeu und Heidekraut.
Haben hier vor einigen Jahren noch ein paar alte Leute, Hühner und einige
halbverwilderte Hunde, zuletzt nur noch ein
Weitere Kostenlose Bücher