Auf dem spanischen Jakobsweg
Heidekraut, leuchten andere
Bodendecker in bunten Farben. Ich gehe durch ein Paradies, durch einen
blühenden Steingarten, den sich die Natur selbst hat einfallen lassen. Mit dem
Blick auf die blauen Bergrücken weit links von mir, getrennt durch eine breite
Schlucht, ziehe ich dahin durch die Farben, durch die Sonne, durch die Stille.
Verflogen, weit hinter mir, weit unten im Tal, die fast lähmende Angst von
gestern Abend in der kleinen, dunklen Kirche in Rabanal, wo der Hauch des Todes
so nahe an uns herankam. Und heute schon wieder, in diesem Rausch der Farben
und des Lichtes, ein Gefühl der Erlösung, unendlicher Freiheit, wie sie die
beiden Adler empfinden mögen, die hoch über mir in den blauen Transparenzen
ihre Kreise ziehen.
Nach einem
Felsbuckel, an dem ich links vorbeigehe, fällt der Bergrücken, in dessen Mitte
mein Pfad verläuft, nach beiden Seiten ab und vor mir, dort wo der Pfad aus
meinem Auge verschwindet, scheint sogar der ganze Berg abrupt nach vorne
abzubrechen. In der Tat, sobald man an die Abbruchkante gekommen ist, geht es
steil und holprig abwärts. Dort unten aber, wo das Gelände sich wieder fängt,
lehnt sich schon das Dorf El Acebo an den von mir soeben durchwanderten
Bergrücken an. Ein schmales, mit Steinplatten gepflastertes Sträßchen, noch
immer abfallend, führt mitten in das Dorf hinein.
Die Dörfer
diesseits der Berge sind ganz anders als die archaischen Steinkaten auf der
anderen Seite, freundlicher, wärmer, wie mir scheinen will. Die auch hier aus
Natursteinen gebauten Häuser haben alle einen ersten Stock, an dem fast immer
ein großer Holzbalkon hängt, manchmal mit blauer Farbe angestrichen, immer aber
vom verlängerten Schieferdach überdeckt. Das macht die ohnehin sehr schmalen
Gassen nach oben noch enger, vermittelt aber auch ein Gefühl der Geborgenheit.
War El Acebo wohl noch vor wenigen Jahren am Aussterben, so rührt sich heute
wieder ein wenig Leben hier. Hühner gackern, in einer Seitengasse kräht ein
Hahn, eine junge Frau hängt zum Trocknen Wäsche auf ihren Balkon, zwei kleine
Buben spielen hingebungsvoll mit ihrem Plastiktraktor und in der kleinen Bar,
wo ich Rast mache, stehen drei Männer am Tresen und plaudern miteinander.
„Nein, nein“ sagt der freundliche Wirt auf meine Frage, „El Acebo ist nicht
tot, schauen sie sich im Dorf nur um. Es gibt wieder mehr Menschen hier als
noch vor wenigen Jahren, schauen sie sich nur um.“ Während ich eine dicke
Gemüsesuppe mit einem Berg von Weißbrot verschlinge und dazu Zitronenlimonade
trinke, kommen zwei weitere Pilger angestapft. Schließlich sehe ich auch Tobias
die Dorfstraße herunterkommen. Alle wirken schlapp von der Herumsteigerei in
den Bergen, sind hungrig und vor allem durstig. Die kleine Bar in El Acebo
steht strategisch an der richtigen Stelle.
Gestärkt gehen
wir nach einiger Zeit weiter. Am Dorfausgang, unmittelbar vor dem Friedhof,
steht ein einfaches Kreuz, das an den deutschen Pilger Heinrich Krause
erinnert, der hier vor zehn Jahren mit seinem Fahrrad tödlich verunglückt ist.
Es geht
weiter abwärts, zunächst auf dem Landsträßchen, dann auf einem gewundenen Pfad,
der sich ab und zu in einen Feldweg weitet. Wir verlieren schnell an Höhe und
die Vegetation wird zunehmend üppiger, das Land grüner. An geschützten oder
fruchtbaren Stellen stehen kräftige, ausladende Bäume, vor allem Esskastanien.
Dann geht es wieder durch niedrige Steineichen, durch Brombeerstauden und
Heckenrosen, an denen die Hagebutten in der Sonne leuchten. Man riecht schon
die fruchtbare Ebene des Bierzo, die wie ein riesiger Garten vor uns liegt.
Wieder auf
der Straße, lesen wir Heinz auf, der hier im Schatten einer Barockkirche sitzt,
die rechts an den Berghang gebaut ist. Kurze Zeit später stehen wir vor der
historischen Brücke, die, schon von den Römern errichtet, den wasserreichen Río
Meruelo überspannt und uns in die malerische Altstadt von Molinaseca
hineinführt.
Molinaseca
ist ein sehr schönes mittelalterliches Städtchen, in dem es auch eine
Pilgerherberge gibt. Obwohl wir heute unsere Beine spüren, wollen wir bis
Ponferrada weiter, die dortige Templerburg in Ruhe besichtigen. Aber die acht
Kilometer, die wir noch laufen müssen, durch die schwüle Luft der Ebene, die
wir jetzt nach Wochen wieder erreicht haben, macht uns zu schaffen. Will man
nicht aufgeben, dann muss man abschalten. Bloß nicht an die Schmerzen denken,
dort, wo der Rucksack drückt und schon gar nicht an die schwer
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