Auf dem spanischen Jakobsweg
zu
sein, die Häuser, eigentlich nur Katen, holt sich die Natur zurück.
Gelegentlich ragt noch ein Glockenturm wie ein stehengebliebener fauler Zahn
aus den zerfallenen Mauern. Auf einen von diesen steige ich mit Heinz hinauf.
Die alte Holztreppe, außen an der Kirchenmauer angebracht, knarrt und wackelt
bedenklich, aber wir stehen ja unter dem Schutz von Sankt Jakobus und so
fürchten wir uns nicht. Die Glocke oben, im offenen Glockenstuhl und gefesselt
an eine schwere Eisenkette, können wir leider nicht mehr zum Läuten bringen.
Man muss wohl annehmen, dass der letzte Dorfbewohner sie vor seinem endgültigen
Weggang mit dieser Kette festgebunden hat. Das Licht musste er nicht
ausschalten, Elektrizität gab es hier nicht.
Die Armut
hat in der Maragatería lange Tradition. Wer sich nicht mit Weidevieh oder
Kleinstlandwirtschaft durchbrachte, musste ganz wegziehen. Viele verdingten
sich als Maultiertreiber oder Fuhrleute. Dafür waren die Maragatos bekannt und
sehr geschätzt.
Neuerdings
jedoch scheint in dieser Gegend Geld im Überfluss vorhanden zu sein. Nicht
etwa, dass man hier, wie zu Zeiten der Römer, wieder eine Goldmine entdeckt
hätte. Oder vielleicht doch? Schon wenige Kilometer nach Astorga steht sie
wieder in der Landschaft, wir sind ihr schon in der Provinz Palencia begegnet,
der schmucken rotweiß-blauen Tafel, die so stolz verkündet, dass hier am
Jakobsweg „Entwicklungsarbeit“ betrieben würde. Auch hier kofinanziert durch
die EU, der Europarat hat ja in der Tat den Jakobsweg schon vor Jahren zur
„ersten europäischen Kulturstraße“ erklärt. Wir Pilger aber wissen inzwischen,
dass wir jetzt wohl gleich wieder auf breiten, öden Pisten, die den uralten
Pilgerpfad unter sich begraben haben, weiterwandern müssen. So kam es dann
auch.
Noch etwas
weiter oben auf dem Weg nach Rabanal wird die Fürsorge für uns Pilger sogar
kurios. Obwohl dort ein offensichtlich erst kürzlich wieder neuasphaltiertes,
völlig verkehrsarmes und gut in die Landschaft eingefügtes Sträßchen verläuft,
hat man parallel zu diesem Sträßchen auch noch eine tiefgründig mit hellem Kies
belegte Piste gebaut. Im kleinen Pilgerführer, den Tobias dabei hat, steht
hierzu:
„Diese
künstlichen Kieswege scheinen mir eine wahre Geldverschwendung zu sein, denn
sie entstellen das Landschaftsbild und erleichtern kaum das Gehen; leider
sollen in Zukunft noch mehr davon angelegt werden.“
Das ist sehr
gut erkannt und auch die Zukunftsvision ist leider realistisch. Natürlich geht
kein einziger Fußpilger auf diesem Kies, er würde es auch nicht lange
durchstehen. Aber er muss das auch nicht. Denn zwischenzeitlich, das wusste der
kleine Pilgerführer noch nicht, hat man eine weitere parallel verlaufende Piste
angelegt, von brauner Farbe und etwas härterer Konsistenz, gedacht wohl für die
Radpilger. Die jedoch fahren natürlich auf dem völlig verkehrsarmen
Asphaltsträßchen und die Fußpilger gehen auf der etwas härteren Piste oder auch
auf dem Sträßchen. Nur die weiße, ermüdende Kiespiste in der Mitte hat noch
keinen Liebhaber gefunden. Aber vielleicht kümmert sich ja mal der Europäische
Rechnungshof um dieses Mauerblümchen. Doch die Fürsorge für die Pilger —
vielleicht sogar ein bisschen für die großen Bauunternehmer? — geht hier noch
weiter. Davon zeugen neu angelegte, überdimensionierte Pilgerrastplätze. Ganz
offensichtlich erwartet man im Pilger der Zukunft den Angehörigen einer
militärischen Einheit, vielleicht einer Kompanie, die nach Santiago zu pilgern
und gemeinsam Furage einzunehmen hat. Da könnte es allerdings einen „wunden Punkt“
geben: Ohne Schatten spendende Bäume laden sich die betonierten Platten der
vielen Bänke und Tische in der dortigen Gluthitze schnell auf und das dürfte
dem Sitzfleisch nicht sonderlich bekommen. Jawohl, Kamerad Pilger, da wird es
heute zumindest am Hintern gegrilltes Fleisch geben. Die zur Zeit noch
anzutreffenden Pilger scheinen das, und damit auch diese Rastplätze, nicht zu
schätzen. Die hier aufgestellten Mülltonnen waren immer leer — eine
ausgesprochene Rarität in Spanien.
Wenige
Kilometer vor Rabanal wird die Landschaft buckliger und wir laufen, nach der
vorausgegangenen Pistenorgie, am Rand von Pinienwäldern auf einem Pfad weiter,
schließlich kommen wir wieder auf das Sträßchen, es geht nochmals ein kurzes
Stück steil bergauf, dann sehen wir bereits die ersten Häuser von Rabanal vor
uns, das auf einer Höhe von knapp 1200 Metern
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