Auf dem spanischen Jakobsweg
empfinde.
Besonders schön ist es, aber da gibt es ja Gott sei Dank mit niemandem Streit,
nicht einmal mit den Professoren, in den Arkaden eines Straßencafés auf der
Plaza Mayor zu sitzen, Bier zu trinken, die Leute zu beobachten und die barocke
Rathausfassade zu betrachten. Dort sieht man im mittleren Turm eine Uhr, auf
der die Zeit von zwei Figuren angeschlagen wird, die überraschenderweise in Pluderhosen
stecken. Bei diesen Figuren handelt es sich um Maragatos, also Bewohner der
Maragatería, jener kargen und rauhen Berglandschaft im Westen von Astorga,
durch die wir morgen wandern werden. Von ihren Bewohnern, also den Maragatos,
die an der Uhr kräftig herumhämmern, sagt man, dass sie Nachkommen von Berbern
aus Nordafrika seien. Sie haben ihre Sitten und Gebräuche durch viele
Jahrhunderte bewahrt und sich auch sonst von ihren Nachbarn abgeschottet.
Gegen Abend
setzen wir uns in den kleinen, sehr hübschen Park ganz in der Nähe der Herberge
und ruhen aus. Hier treffen wir auf Paolo und Alberto und das zierliche Ehepaar
aus Frankreich, das wir schon seit Roncesvalles kennen. Von unserem Trupp, der
vor etwa vier Wochen am gleichen Tag im dortigen Kloster aufgebrochen war,
haben wir inzwischen viele nicht mehr gesehen. Von einigen, das kann man den
Pilgerbüchern in den Herbergen entnehmen, wissen wir allerdings, dass sie bis
zu zwei Etappen vor uns sind. Die andern müssen hinter uns sein oder aufgegeben
haben. Dagegen tauchen in den Pilgerherbergen, insbesondere in den größeren
Orten mit Anschluss an das Bahn- und Busnetz, jetzt immer häufiger vor allem
jugendliche „Pilger“ auf, die man nie auf dem Camino laufen sieht, die aber
nachmittags leichtfüßig in den Herbergen angetänzelt kommen, abends viel
trinken und nachts keine Ruhe geben.
Auch heute
gibt es, als wir gegen 20 Uhr in die inzwischen überbelegte Herberge
zurückkommen, großen Krach. Ein spanischer Fußpilger, der abgewiesen wird,
wirft den Betreibern der Herberge mit heftigen Worten vor, dass sie „Touristen“
aufgenommen hätten, auf dem Camino liefen gar nicht so viele Pilger herum. Er
wusste wohl, wovon er sprach, denn ein paar Etappen später, schon in Galicien,
wo wir ihn wieder trafen, erzählte er uns, dass er jährlich, und das schon seit
mehr als zwanzig Jahren, über den gesamten spanischen Jakobsweg wandere und
dass sich von Jahr zu Jahr mehr „timadores“, also Schwindler, Trittbrettfahrer,
in die Herbergen mogelten. Je näher man nach Santiago komme, desto schlimmer
werde das.
Stille in der
Maragatería
Wir können
an diesem Morgen noch einmal den polyglotten Geruch dieser uralten Stadt durch
unsere Nasen ziehen. Er kommt aus Mauern, die teilweise schon über zweitausend
Jahre alt sind.
Es ist noch
dunkel, während wir durch die Altstadt laufen und in einer Bar einen Kaffee
trinken. Danach setzen wir uns auf eine Bank in einer kleinen Anlage, ganz nahe
dem Palast von Gaudi, essen Kekse und trinken Joghurt, Trinkjoghurt, wie ich
ihn bei uns in den Regalen nicht finde. Dann aber geht es richtig los, hinaus
in die Maragateíia.
Das kleine
Bergdorf Rabanal del Camino, am Fuße des Iragogebirges, ist unser heutiges
Ziel. Als wir kurz hinter Astorga an der Einsiedelei Ecce Homo aus dem
Mittelalter vorbeikommen, schwimmt aus dem Osten schon eine breite Woge purpurfarbenen
Lichtes auf uns zu. Der Tag beginnt und in dem kleinen Dorf Murias de
Rechivaldo ist es schon hell, am Himmel auch heute kein Wölkchen zu sehen. In
einem breiten Hinterhof liegen etwa fünfzig Schafe auf der rotbraunen Erde und
warten geduldig auf den Austrieb. Das Dorf mit den flachen, zum Teil aus Lehm,
zum Teil aus Natursteinen gebauten Häusern ist die erste für die Landschaft der
Maragatería typische Siedlung, durch die wir laufen.
Hinter
diesem Dorf weitet sich das Land, es geht zunächst nur allmählich, aber stetig
aufwärts. Vor uns heben sich die Montes de León, die Leonesischen Berge, nur
als sehr sanfte Hügelkette ab. Immerhin wandern wir bereits jetzt auf einer
Höhe von tausend Metern über eine sich nur allmählich nach oben ziehende,
unfruchtbare Hochebene, einer Mischung aus Steppe, Hochmoor, Heide und
Buschland. Über diesem Land liegen Sonne und Wind, Einsamkeit und Stille und
auch etwas Schwermut. Am Herzen dieser Landschaft riecht es nach Hirtenfeuer,
nach Ziegen und Schafen, vielleicht sogar noch nach der Angst vor den Wölfen in
der Nacht. Heutzutage scheinen die wenigen kleinen Dörfer oft verlassen
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