Auf dem spanischen Jakobsweg
herum. Aber an
diesen Mauerresten wächst kein Efeu, hier stehen wir nicht „an der Saale hellem
Strande“ und „auf den altbemoosten Steinen“ erscheinen uns auch keine
„Gestalten zart und mild“. Nein, hier stolpern wir über die Gebeine einer
gestorbenen menschlichen Siedlung, durch eine Gruft, eine Totenkammer, es
riecht nach Schlick und Moder und verfaulten Algen und wenn die Flut wieder
kommt, werden sich Aale durch die dunklen Mauern winden.
Tanz der
Satyre in einem galicischen Kaffeehaus
Wie wir
heute morgen Portomarín verlassen, versteckt sich der Río Miño hinter
Dunstschwaden und es regnet leicht. Kaum haben wir auf einem schmalen Steg
einen Seitenarm der Talsperre überquert, steigt unser Weg an. Wir laufen über
den Nordhang des Monte San Antonio.
Bald aber
hört es auf zu regnen, allmählich wird auch die Luft trockener und nach einiger
Zeit reißt sogar der Himmel unversehens auf. Die Morgensonne verschluckt jetzt
rasch den feuchten Dunst, der sich während der Nacht im Miñotal gebildet hatte
und der bis hier herauf gezogen war. Da wir langsam aber stetig weiter aufwärts
gehen, verändert sich auch die Vegetation. Pinien verdrängen die Laubbäume und
wir wandern wieder durch übermannshohe Ginsterbüsche, übersät mit Wasserperlen,
die im Sonnenlicht glitzern. Das Heidekraut leuchtet in der vom Regen
gereinigten und von der Morgensonne durchfluteten Luft in so intensiven Farben,
dass das Auge fast geblendet wird. Aber wir wissen, dass wir durch Galicien
wandern. Aus Westen quellen schon wieder mächtige dunkle Wolken heran, lautlos
und unaufhaltsam. Schon nach kurzer Zeit schwinden Licht und Farben, es wird
rasch düster und bald darauf schon gießen sich die Wolken über uns aus.
Irgendwo habe ich gelesen, dass man in Galicien schon mit dem Regenschirm auf
die Welt kommt. Wir aber ziehen schleunigst unsere Regenhaut über und patschen
durch die Nässe vorwärts, Santiago entgegen.
In einem
kleinen Dorf, vielleicht auf halbem Wege zwischen Portomarín und Palas de Rei,
unserem heutigen Tagesziel, hängt an einer Hauswand, verwittert und windschief
und mit einem nach links weisenden Pfeil, ein kleines Holzschild mit der
magischen Aufschrift „Bar“. Jetzt einen großen Humpen Kaffee trinken, das wäre
wirklich eine Wohltat. Wir folgen also dem Pfeil des Schildes, laufen an ein
paar Häusern vorbei und um einige herum, aber von einer Bar ist nichts zu
sehen. Schließlich geraten wir auf ein großes Hofgrundstück und sofort schlägt
irgendwo, ohne dass wir ihn sehen, ein Hund an. Wir müssen ihn auch gar nicht
sehen, sein tiefes und bösartiges Grollen verrät uns, dass es sich bei ihm
nicht um ein Schoßhündchen handeln kann. Reflexartig verstärken wir den Griff
um unsere Pilgerstöcke. Wir sind durchaus bereit, notfalls den Kampf gegen
diesen riesigen Höllenhund aufzunehmen und ihn Mores zu lehren, wir sind ja in
den Pyrenäen sogar mit dem Bären fertig geworden. Aber da kommt eine
freundliche Señora angelaufen, unser Griff um die Pilgerstöcke wird wieder
lockerer und wir wollen von ihr ja auch nur wissen, wo denn hier in diesem Dorf
die Bar ist. Aber da lacht sie und wir sollten nur mit ihr kommen und schon
öffnet sie einen Betonschuppen und wir sind in der Bar. Vier kahle Wände,
durchaus einer Garage vergleichbar, ein Tischchen und vier Stühle. Por favor,
Señores. Bitte sehr, meine Herren! Selbstverständlich gäbe es Kaffee, aber sie
hätte auch Weißbrot mit Schinken, sehr gutem Schinken, so bestellen wir also
Kaffee, Weißbrot und Schinken. Und schon springt unsere Señora über das
Hofgrundstück in ihr Wohnhaus zurück.
Vom
Schwitzen unter der Regenhaut, heute aber auch vom Regen selbst, der von den
nassen Beinen langsam nach oben kriecht, sind wir ordentlich und umfassend
eingeweicht und fangen schon nach kurzer Zeit an zu frösteln. So beschließen
wir, uns komplett umzuziehen, auch wenn wir dann unsere letzten noch
einigermaßen trockenen Sachen am Leib haben werden. Vielleicht bekommt man ja
das Zeug in Palas de Rei wieder trocken. Aber bevor wir uns in diesem
öffentlichen Kaffeehaus entblößen, wollen wir doch den Kaffee und den Schinken
und vor allem die Señora abwarten, bis sie das alles gebracht hat und wieder
draußen ist. Sie soll ja nicht denken, dass hier, in ihrem Salon, gleich ein
heidnischer Tanz der Satyre stattfinden wird, was sie veranlassen könnte, nach
dem Ortsgeistlichen zu schicken oder — schlimmer noch — die Kaffeekanne
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