Auf dem spanischen Jakobsweg
herausragend,
zieht sich eine alte Bogenbrücke wie eine im Wuchs zurückgebliebene Schwester
über den gleichen Fluss.
Bei diesem
Bild baut sich im Betrachter unwillkürlich ein Spannungsfeld auf, dessen
Ursache sich nicht auf Anhieb, sondern erst bei genauerem Hinsehen vermittelt.
Dann nämlich gewinnt man aus der Perspektive der modernen Brücke, die von
scheinbar sinnlos hoch aus dem Wasser ragenden Pfeilern getragen wird, den Eindruck,
dass der Fluss fast ausgetrocknet sein muss. Der genau entgegengesetzte
Eindruck, nämlich dass der Miño Hochwasser führt, entsteht dagegen beim
Betrachten der alten Brücke, weil ihr das Wasser bis an den Bauch reicht und
von ihren Bögen unter dem Gehweg gerade noch die obersten Winkel freilässt.
Das paradoxe
Bild löst sich schnell auf, sobald man die schlammverkrusteten Ruinen sieht,
die an den Uferhängen, insbesondere auf der linken Seite des Flusses, im
Trockenen stehen. Diese Ruinen sind die Überreste des historischen Städtchens
Portomarín, das zu Beginn der 1960er Jahre in den Fluten versunken ist, als der
Miño in einen langgezogenen Stausee verwandelt wurde. Jetzt, wie stets am Ende
des Sommers, da der Wassernachfluss monatelang gestockt hat, tauchen diese
Ruinen wie das Opfer eines makabren Wechselspiels immer wieder aus den Fluten
auf, ganz so, als wollten sie die vorwurfsvolle Frage stellen: „Was habt ihr
uns, die wir doch einst eine blühende Stadt, eine Zierde Galiciens und eine
Perle am Jakobsweg waren, angetan?“ Schon Domenico Laffi — wir kennen ihn
bereits, das ist unser Pilgerbruder aus Bologna, der um das Jahr 1673 so
erschrocken die Augen aufgerissen hat und gelaufen ist, was das Zeug hielt, als
er am Wegesrand bei Calzadilla einen toten Pilger fand, an dem die Wölfe
herumfraßen — war vor über dreihundert Jahren von Portomarin sehr angetan:
Wir gehen in Richtung Porto
Marino, das drei Leguas entfernt ist. Dies ist ein schöner Ort, durch dessen
Mitte ein großer Fluss fließt, der sehr fischreich ist, insbesondere an Aalen
und köstlichen Forellen, aus denen wir uns ein vorzügliches Essen zubereiteten.
Auf der anderen Flussseite gibt es viele Weinberge und Gemüsegärten. Die beiden
Uferseiten sind durch eine große und prächtige Brücke verbunden, die jetzt
diesem Land ihren Namen gibt.
Das alte
Portomarín, wie es Domenico Laffi erlebte, hatte in der Tat eine lange und
bedeutende Geschichte, bevor es in den Fluten versunken ist. Schon in der Zeit
der Römer stand hier der Ort Pons Minei und bereits dieser Name zeigt an, dass
hier schon damals eine Brücke über den Fluss geführt hat. Im Jahre 993 wird der
Ort als Villa Portumarini erwähnt. Etwa hundert Jahre später ist diese Brücke
zerstört worden, bei kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Urraca, der
Tochter von König Alfons VI. von Kastilien und dem ihr zwangsweise angetrauten
Alfons dem Kämpfer aus Aragón — wir haben das alles schon in León erfahren. Die
Brücke wurde allerdings wegen ihrer herausragenden strategischen Lage schon im
Jahre 1120 wieder aufgebaut. Auch die drei großen Ritterorden, die Templer, die
Jakobs-Ritter und die Johanniter, hatten hier wichtige Ordenshäuser. Diese
Komtureien betrieben naturgemäß auch Pilgerhospize.
Einige
historische Gebäude hat man, bevor die große und für das Land sicher auch
segensreiche Flut kam, in vorbildlicher Weise gerettet und hangaufwärts, dort,
wo dann das neue Portomarin entstanden ist, Stein für Stein wieder aufgebaut.
So hat man zum Beispiel das Portal der romanischen Kirche San Pedro, mit einer
Einweihungsinschrift aus dem Jahre 1182, an höherer Stelle wieder errichtet.
Vor allem aber wurde die wuchtige Kirche San Nicolás aus dem 12. Jahrhundert,
zinnenbewehrt und mit einer großen Fensterrosette sowie einem beachtenswerten
Portal ausgestattet, komplett gerettet und als Mittelpunkt der neuen Stadt
wieder aufgeschichtet.
Es liegt
vielleicht nahe, sich von dem Ressentiment leiten zu lassen, dass das oben am
Hang gelegene neue Portomarín nur ein Kunstgebilde sein kann, steril und
unwirklich. Aber diesen Eindruck gewinnen wir nicht. Es gibt schöne
Grünanlagen, Arkaden, viele kleine Läden, Straßencafés und freundliche
Menschen. Dennoch zieht es Heinz und mich am Abend noch einmal ins Flussbett
hinunter. Wir passieren auf der alten Brücke, also ganz nahe der
Wasseroberfläche, den Miño und laufen auf der anderen Uferseite in den
verschlammten Ruinen der untergegangenen mittelalterlichen Stadt
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