Auf dem spanischen Jakobsweg
das
„idiotas“ sind, ganz große „idiotas“, und tippt sich dabei auch noch zur
besonderen Betonung an die Stirn.
Endlich,
nach etwa zweistündigem Marsch, zweigt der Weg nach links ab und wir können
aufatmen. Ich denke mir, dass wir denen, die den Camino hier markiert haben,
vielleicht doch Unrecht tun, dass es möglicherweise keine Alternative gibt.
Aber ich weiß es nicht.
Wir steigen
leicht bergauf und erreichen schnell das Dorf Grañon, das noch die quadratische
Anordnung hat, die für viele Pilgerorte typisch ist. Von der einst großen
Vergangenheit — es gab hier einmal zwei Klöster und ein Pilgerhospiz — ist
heute nur noch die Kirche San Juan Bautista übrig geblieben. Im 14. Jahrhundert
wurde sie auf den steinernen Fundamenten der Vergangenheit errichtet. Sie hat
einen schönen Altaraufsatz aus der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Von Grañón
aus geht es wieder bergab, aber in Kürze stehen wir erneut vor der
Nationalstraße. Lärm und Gestank haben uns also ein-geholt. Nach einigen
weiteren mühsamen Kilometern halten wir „Kriegsrat“. Jetzt wollen wir wirklich
wissen, ob man nicht auf einem anderen Weg bis Belorado gehen kann. Egal was auch
kommt, notfalls schlafen wir im Freien, jeder von uns hat eine Iso-Matte und
einen Schlafsack dabei. So biegen wir nach links auf ein unbefahrenes, schmales
Sträßchen ein und wandern schon nach kurzer Zeit durch eine stille, liebliche
Landschaft auf eine sanfte Hügelkette zu. Hinter dieser wollen wir dann nach
rechts in Richtung Belorado weitergehen. Das erste Dorf wirkt gänzlich
ausgestorben, nur ein paar Hunde liegen schläfrig in der Sonne und haben kaum
einen Blick für uns übrig. Wir biegen nach rechts und schon nach kurzer Zeit
liegt die Hügelkette, auf die wir zugewandert waren, zwischen uns und der
Nationalstraße. Dann steigen wir, jetzt schon auf einem verwachsenen Feldweg,
in langen, sanften Schwingungen bergauf. Am Himmel ziehen ein paar weiße Sommerwolken
mit uns dahin, lautlose Wegbegleiter, die die Stille um uns nur noch
unterstreichen. Nichts bewegt sich im Gelände, kein Mensch, kein Tier, keine
Maschine, nicht einmal ein Windhauch. Magisch fließen die Pastellfarben eines
späten Sommertags ineinander. Kennt man hier noch Zeit? Oder sind wir auf einem
fernen Planeten gelandet, der keine Uhr mehr hat und keine Bewegung, der zu
ewigem Schweigen, zu ewiger Schönheit erstarrt ist?
Im Dorf
Pedro del Monte frage ich zwei Männer, die mit dem Ausbessern eines alten
Hauses beschäftigt sind, wie wir nach Belorado weiterkommen. Aber sie wollen
uns gleich wieder auf die Nationalstraße, die „Carretera“, zurückschicken. „No,
no Señores, nosotros no queremos la carretera, para nos peregrinos la carretera
es una pena“, nein, nein, wir mögen die Straße nicht, für uns Pilger ist die
Straße eine Qual. Wieder Kopfschütteln. Komisch, diese Pilger
müssten doch froh sein für die schöne Straße, sie wollen doch so schnell wie
möglich nach Santiago. Also weiter, mit der Sonne an der linken Seite einfach
westwärts. Über einen mannshoch mit Gras zugewachsenen Weg durch einen dichten,
niedrigwüchsigen Eichenwald, dann weiter auf Feldwegen, eingerahmt von
Brombeerstauden und Heckenrosen, an denen die Hagebutten leuchten. Weiter durch
die Sonne, durch die Stille, durch die Einsamkeit. Noch ein paar ausgestorbene
Dörfer, dann Wasser aus dem Dorfbrunnen von Fresneda, ein bisschen Brot und
Käse und schließlich Ankunft in Belorado. Ein Wandertag, dessen Bilder im
Gedächtnis haften bleiben werden. Und der Beweis, dass manche, die hier
Pilgerwege markieren, von den Bedürfnissen der Pilger wirklich keine Ahnung
haben.
Die
Pilgerherberge in Belorado, gleich neben der Kirche Santa Maria, ist besonders
originell untergebracht, nämlich im ehemaligen Theater der Pfarrei. Wir
durchschreiten das große und schwere alte Holztor und werden wie immer
freundlich empfangen. Im ersten Stock, gleich neben dem Treppenaufgang, finden
wir in einer Nische drei Betten, auf die wir spontan unsere Rucksäcke werfen.
Über uns hängt ein großes Gemälde, das einen Heiligen darstellen muss,
vielleicht den Heiligen Antonius. Mit schmachtendem Blick schaut er wie ein
frommer Schmalzengel zum Himmel hinauf, nicht vergleichbar mit unserem
Heiligen, dem man immer die Härte und die Entbehrungen eines Pilgerdaseins
ansieht.
„Solange der
immer nur zum Himmel hinaufschaut, können wir hier unten in Ruhe mal ein
bisschen essen und Rotwein trinken“ ermuntere
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