Auf dem spanischen Jakobsweg
herumgestanden und haben geglaubt,
das Tor sei verschlossen und sie müssten warten bis einer kommt und
aufschließt.“
„Und war es
verschlossen?“
„Nein, das
war nur verklemmt, das hab’ ich gleich gesehen.“
„Und dann?“
„Da hab’ ich
ein bisschen Anlauf genommen und leicht gedrückt, und da ist das Tor
aufgeflogen.“
„Wie gut,
dass wir dich dabei haben.“
„Ach weißt
du, ich glaub’ das waren alles Akademiker, und mit euch Akademikern kann man ja
nichts Richtiges anfangen, eigentlich gar nichts.“
Und dann
schüttelt er sich vor Lachen, hat es uns mal wieder gegeben. Am Abend, in der
Herberge von San Juan de Ortega, kam der kleine, zierliche Franzose, der immer
so auffallend zurückhaltend, fast scheu war, zu mir her, deutete auf meinen
Cousin und sagte, dass das ein wirklich starker Kerl sei, „der hat uns heute
morgen befreit“, und dabei musste er heftig in sich hineinkichern, die Sache
hatte ihn offensichtlich mächtig amüsiert. Jetzt waren wir auch seine Freunde.
Wichtig
allein ist Gott
Von
Villafranca aus, das einmal Bischofssitz war und heute nur noch ein armes Dorf
mit ganz wenigen Einwohnern ist, steige ich in die Oca-Berge auf. Diese waren
bei den Pilgern des Mittelalters der wohl am meisten gefürchtete Abschnitt auf
dem Weg nach Compostela. Auf einer Höhe von etwa 1200 Metern führt der Camino
fünfzehn Kilometer lang durch ein noch heute gänzlich unbewohntes dichtes
Waldgebiet, ein idealer, kaum zu kontrollierender Unterschlupf für Räuber,
Wegelagerer und andere Schnapphähne. Hier lauerte das ganze Banditenvolk auf
die Pilger, drehte Wegmarkierungen in die falsche Richtung, kam heraus aus den
Büschen, grinsten die Pilger an, um ihnen gleich darauf die Klinge zu zeigen
und bei Gegenwehr in ihre ausgemergelten Körper zu stoßen. Viele mögen sich in
dem unwegsamen Gelände auch verlaufen haben, verhungert und verdurstet sein.
Andere wurden von Sturm und Regen und Eiseskälte überrascht und von gierigen
Wolfsrudeln bedrängt. Wer hat die hier gestorbenen Pilger gezählt, wer kennt
ihre Namen, wer hat in der Heimat um sie geweint? Heute ist das längst
Vergangenheit.
Kurz nachdem
ich den steilen Anstieg hinter mir habe, komme ich an die berühmte uralte
„Mojapan-Quelle“. „Mojapan“ heißt so viel wie „Brot befeuchten“. So sitze ich
also an der historischen Quelle, an der die Pilger in der alten Zeit ihr hart
gewordenes Brot in das Wasser eingetaucht und damit aufgeweicht haben. Dann
fülle ich meine Flasche mit frischem Quellwasser, setze meinen Rucksack auf und
gehe weiter. Ich wandere dahin auf einer herben, melancholischen Hochebene. Der
Weg wird zuerst von Krüppeleichen und Wacholderbüschen, später von blauschimmernden Kiefern
gesäumt. Und überall steht Heidekraut, das jetzt, in der Septembersonne, wie
von innen heraus glüht. Nur der mal gelbe, mal rötliche, mal ockerfarbene Sand
knirscht unter meinen Schuhen, sonst kein Laut, kein Vogelruf, kein Windhauch —
am Himmel keine einzige Wolke, die sich vor die Sonne schieben könnte. Dennoch
hat es den Anschein, als ob die Sonne hier oben ein wenig weiter weg wäre als
in den letzten Tagen, nicht mehr als Glutofen ganz nahe über meinem Kopf hinge.
Man ahnt es, dass der Herbst sich in die Oca-Berge hineintasten will. Bald
schon wird er seine Zurückhaltung aufgeben, wird Regen von den Kiefernnadeln
tropfen, werden Nebelschwaden lautlos durch die Bäume geistern und etwas später
noch im Jahr werden hier kalte Winde heulen, auf deren Flügeln nachts die Hexen
tanzen. Wehe dem Pilger, der dann noch keine Herberge hat.
Nach etwa
vierstündigem Fußmarsch tauchen ganz unverhofft, einem Märchenschloss gleich,
die Mauern von San Juan de Ortega auf. Für die Pilger in den alten Tagen muss
dies wie eine Erlösung gewesen sein. Keine Räuber, keine Wölfe, kein
Schneesturm, kein Verirren mehr. Auch wir, ich hatte zuerst Tobias und dann
auch Heinz in den Bergen eingeholt, freuen uns auf eine Dusche, ein kühles Glas
Bier und eine kräftige Brotzeit. Es ist Nachmittag und vor der Herberge lagern,
an ihre Rucksäcke gelehnt, schon ein paar Pilger. Die meisten von ihnen sind
uns bereits bekannt. Wir begrüßen uns ohne Pathos, ja so selbstverständlich,
wie man am Morgen einen netten Arbeitskollegen begrüßt. Die Herberge wird erst
in über einer Stunde geöffnet werden, und wir haben Zeit, etwas zu essen und in
der Bar ein Bier zu trinken.
An der
Stelle, an der das heutige San Juan de
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