Auf dem spanischen Jakobsweg
Nationalstraße präferiert, bleibt mir
verschlossen. Aber es passt in dieses Bild, dass mich zwei Bauern, als ich
schon den Umweg eingeschlagen habe, unbedingt wieder auf die Nationalstraße
hinüberschicken wollen und nur noch unverständlich ihren Kopf schütteln, als ich
ihnen erkläre, dass eine solche Straße für uns Pilger „una pena“, eine Strafe
sei. Weil ich solches nicht zum ersten Mal erlebe, kommt in mir das Gefühl auf,
dass es vielen Spaniern nicht eingehen will, wenn wir Pilger auch dann über die
holprigen und einsamen Wanderpfade laufen wollen, wenn eine Asphaltstraße an
das gleiche Ziel führt. Mein Umweg über Cirueña jedenfalls gehört zu den
besonders schönen Etappen, auf denen ich gewandert bin. Ganz allmählich führt
der Weg heraus aus den kräftigen, aber eintönigen Farben der Rebenfelder und
hinein in die ineinander fließenden Pastelltöne karger Hügel und darunter
liegender abgeernteter Getreidefelder. Gelegentlich führt der Pfad auch durch
niedrig gewachsene Eichenwälder und vorbei an kleinen Bewässerungsgräben, an
denen auch jetzt noch Blumen in vielen Farben blühen. Gegen 16 Uhr betrete ich
Santo Domingo de la Calzada, unser heutiges Etappenziel.
Das
Städtchen Santo Domingo trägt den Namen eines Mannes, dem, von seiner Herkunft
besehen, nicht der Hirtenstab eines Heiligen der Christenheit, sondern der
Hütestock eines einfachen Hirten vorgegeben war. Aber irgend etwas muss in ihm
schon frühzeitig gegärt haben. So verließ er, ein Knabe noch, seine Schafe und
Ziegen in dem Dorf Viloria und ging als Schüler in das Kloster Valvanera, tief
in den Bergen des Cerro Pancrudo, nahe der Tobia-Quelle. Nicht in den Orden
aufgenommen, ließ er sich um das Jahr 1040 als Einsiedler am Ufer des Oja
nieder, der am heutigen Städtchen Santo Domingo vorbeifließt. Hier betreute er
die durchziehenden Pilger und erkannte schnell deren Probleme. Deshalb ließ er
Wege anlegen, eine Brücke über den Oja schlagen, ein Pilgerhospital errichten
und ein Kirchlein bauen. Aber nicht als Architekt ging er in die Geschichte
ein, er wurde später heiliggesprochen. Aus seinem Kirchbau aber wurde im Laufe
der Jahrhunderte die heutige Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada. Und in
dieser Kirche steht auch sein Grabmal, prunkvoll ausgestattet, so wie es gar
nicht seiner bescheidenen, seiner christlichen Lebenseinstellung entsprach.
Am Abend
gehen wir in die Pilgermesse. Ich bin kein großer Kirchgänger, eher schon
überhaupt keiner. Als Kind empfand ich die „Gottesdienste“, wie wir die Messen
nannten, als langweilige, ernste Rituale. Die so oft erhobenen Zeigefinger
unserer Geistlichen waren mir eine unangenehme Bedrohung. Als Ministrant wurde
dann alles besser. Zwar haben wir die lateinischen Gebete nie richtig gelernt,
aber den Eingangssatz und den Schluss beherrschten wir. Dazwischen lag ein
Geraune, dass die germanischen Nomen ihre Freude an uns gehabt hätten. Und in
der Sakristei, wo wir auch immer wieder während der Messen und Andachten
herumhantieren mussten, rauchten wir unsere ersten Zigaretten und probierten
unseren ersten Wein — ganz reinen Messwein, aus vereidigten Kellereien.
In die
Pilgermessen am Jakobspfad gehe ich gerne. Man kann im gedämpften Licht dieser
uralten, meist spätromanischen Kirchen nochmals den Tag an sich vorbeiziehen
lassen und über viele Dinge, die einen bewegen, nachdenken. Mit den Pfarrern
kann man sich nach den Messen, wenn man noch etwas in der Kirche bleibt, sehr
locker unterhalten. Sie heben nicht den Zeigefinger und verdrehen auch nicht
die Augen gen Himmel. Aber immer fragen sie nach unseren Beschwernissen und
auch, ob sie uns irgendwie helfen können. Auch sprechen sie uns Mut zu, sagen,
dass wir unsere Mühsale reich entgolten bekämen und dass sie großen Respekt vor
uns hätten. So fühlt man sich bei ihnen herzlich aufgenommen und kann sich
selbst auch öffnen.
Aber in der
Kathedrale von Santo Domingo gibt es noch etwas ganz Besonderes. Mitten in die
Messe hinein kräht plötzlich ein leibhaftiger Hahn und die Akustik der Kirche
sorgt dafür, dass sein Ruf in jeden Winkel des alten Gemäuers dringt. Und dann
kräht er gleich noch einmal.
Natürlich
kennen wir die Geschichte schon: Es war einmal ein frommes Ehepaar aus dem
Bistum Köln, das im 14. Jahrhundert nach Santiago pilgerte. Weil es schon Abend
wurde, kehrten sie, zusammen mit ihrem halbwüchsigen Sohn, im Gasthof zu Santo
Domingo ein, um dort zu übernachten. Der Wirt aber
Weitere Kostenlose Bücher