Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
Vom Netzwerk:
der
ewigen Schieberei manchmal langsamer voran als ihr“, lacht er. „Aber später,
durch die Meseta, wird das sicher besser.“
    „Ich hab’
mir das schon ein paar Mal gedacht, wenn ich euch so beobachte. Aber man sieht
ja auch nicht viele Radpilger.“
    „Nein. Da
sind schon viele Jugendliche mit dem Rad unterwegs, aber denen geht es nur um
Sport und Gaudi und natürlich um billige Übernachtung in den Pilgerherbergen“, meint
er etwas abschätzig, „und die fahren eigentlich meistens auf den Straßen. Für
mich ist das ein Greuel bei dem vielen Verkehr. Aber oft bleibt einem ja nichts
anderes übrig. Das nächste Mal laufe ich auch so wie ihr. Aber ich hab’ diesmal
nicht so viel Zeit.“
    Die Wärme
der Morgensonne fließt nur sehr langsam in die alten, schmalen Gassen von
Näjera. Ich bummle noch ein bisschen durch den historischen Teil des
Städtchens, dann gehe ich über die Brücke hinüber in den jüngeren Stadtteil und
trinke an der Bar eines Hotels meinen „café grande con leche“. Danach aber geht
es endlich los, wieder hinaus aus der Enge der Mauern und hinein in die endlose
Freiheit des Camino.

    Ich muss als
erstes die rote Felsenwand überwinden, die dem Städtchen auf der einen Seite
wie eine Mauer ein Ende setzt. Der Weg, ein einsames und unbefahrenes Sandsträßchen,
steigt unmittelbar nach den letzten Häusern ziemlich steil an und bohrt sich
als Hohlweg in Windungen durch die roten Berge. Heute, da ich so spät
aufbreche, werden mir keine Pilger mehr nachfolgen. Das erhöht noch den
Eindruck des Alleinseins, weckt in mir das Gefühl, der einzige Wanderer auf
diesem stillen Weg zu sein. Aber das ist es ja gerade, was mir von Tag zu Tag
mehr gefällt. Ich kann auf diesen einsamen Wegen jeden Gedanken zu Ende denken,
ich kann jeden Baum, jede Blume, jeden Bach und jeden Stein so lange
betrachten, jeden Schmetterling, jeden Vogel, jede Eidechse so lange
beobachten, wie es mir lieb ist. Niemand stört mich, niemand treibt mich,
niemand will etwas von mir. Ich kann mich an den Wegesrand setzen und so ein
Teil dieser stillen Landschaften werden. Ich kann mich in den Schatten eines
Baumes legen und
ein bisschen schlafen. Ich kann weiterziehen und über mein Leben nachdenken.
Sind es vielleicht diese Empfindungen, die die — so oft schon beschriebene —
Magie dieses uralten Pilgerwegs ausmachen? Dies allein kann es aber wohl nicht
sein. Auch in meiner Heimat kann ich über lange und sehr einsame Wege wandern.
Ist es dann vielleicht die scheinbare Endlosigkeit dieses Weges, auf dem es
schon nach einigen Tagen kein Gefühl der Verbundenheit mehr gibt mit dem
Ausgangspunkt, noch weniger mit seinem Ende? Ist dieser Pilgerweg vielleicht
auch insoweit ein Spiegelbild unseres Lebens? Und schafft dieses Verlieren
aller äußeren Ziele vielleicht Freiräume, in denen sich, getrieben von der Sehnsucht
nach mehr Erkenntnis über uns selbst, plötzlich ganz andere Fragen stellen und
unsere Verunsicherung, unsere Zweifel zumindest den Hauch einer Antwort aus
unserem Inneren heraus erhalten können?

    Kurz bevor
ich die Anhöhe erreiche, entdecke ich rechts von mir, auf einer kleinen
vorgeschobenen Felsplatte, ein paar alte, verbrauchte Wanderschuhe, von denen
sich die Sohlen teilweise schon gelöst haben. Unmittelbar daneben liegen blaue
Trauben und ein weißer Kieselstein. Und darüber zeigt, an den Felsen gemalt,
ein gelber Markierungspfeil westwärts. Ich weiß nicht, wer diese schlichten
Zeichen angebracht hat, aber ich weiß, was er damit sagen will: dass die
abgelaufenen Schuhe für unsere Unruhe, für unsere Rastlosigkeit stehen, die
Trauben für unsere Kraft und Lebensfreude und der harte Kieselstein für unsere
Sorgen und Mühen. Der Pfeil über diesen Symbolen der Vergänglichkeit weist den
Weg auf ein Ziel, aber gleichzeitig entziffert er es nicht, weil wir es in uns
selbst erst suchen müssen.
    Nach den
roten Bergen, auf denen die blaugrünen Pinien fast melancholisch kontrastieren,
führt der Weg durch endlose, dunkelgrüne Weinfelder. Es ist sehr heiß, drückend
heiß geworden. Aber in Azofra gibt es wieder einen Pilgerbrunnen mit klarem,
kalten Quellwasser. Einige Zeit hinter Azofra, vorbei an einem sehr alten
Steinkreuz, hat man die Wahl, auf welchem Weg man weiter wandern will. Entweder
auf der uns schon bekannten Nationalstraße Nr. 120 oder auf Umwegen über eine
kleine Anhöhe, auf der das Dorf Cirueña liegt. Warum mein spanischer
Pilgerführer erkennbar den Weg über die

Weitere Kostenlose Bücher