Auf dem spanischen Jakobsweg
mich zu, die ich vorher noch
nie gesehen habe. Ich begrüße sie einfach mal auf Spanisch und frage, ob sie
mir mit der Regenhaut helfen könnte. Und natürlich wird sie mir helfen. So
werfen wir meine Regenhaut über mich. Aber so einfach ist das alles auch zu
zweit nicht. Wir müssen die Ausbuchtung für den Rucksack und drei Öffnungen
finden, zwei für meine Arme und eine für meinen Kopf und das alles so, dass der
Kopf nicht durch einen der geräumigen Ärmel und meine Arme nicht durch die
Öffnung für den Kopf ans Tageslicht vorstoßen. Ich rudere im Dunkeln unter
meiner Regenhautglocke herum und die junge, hübsche Frau versucht von außerhalb
dieser Glocke meine Ruderbewegungen in die passende Richtung zu lenken. Endlich
bekommen wir mal wenigstens meine Arme in die Ärmel. Für den Kopf scheint
allerdings überhaupt keine Öffnung vorgesehen zu sein, das müssen die in der
Fabrik vergessen haben. Aber ich kann doch nicht blind und kopflos über den
Atapuerca steigen und ohne dabei die junge Pilgerin zu sehen, letzteres geht
schon überhaupt nicht. Da aber schießt plötzlich mein Kopf aus der Regenhaut
wie der Schädel eines Tauchers aus dem Wasser und mein Gesicht ist ihrem
Gesicht so nahe, wie dies nach so kurzer Bekanntschaft auch unter Pilgern
völlig unüblich ist und ich sehe, dass sie auch sehr schöne Augen hat und dass
man so eine auf der Stelle heiraten möchte, aber das geht jetzt nicht, dazu
braucht man einen Pfarrer und Tobias ist schon über alle Berge und es geht auch
deshalb nicht, weil wir beide uns vor Lachen ausschütten müssen über dieses
unverhofft innige Zusammentreffen im Sturm und Regen am Fuße des Atapuerca.
Wir gehen
gemeinsam weiter bergauf, aber je höher wir kommen, umso heftiger schlägt uns
der Wind die Regentropfen ins Gesicht. Schließlich aber sind wir oben. Das
Hochplateau des Atapuerca ist rauh und herb, alles ist mit Steinen übersät. Nur
noch vereinzelt wachsen hier ein paar verkrüppelte Bäume, mehr lässt der ewige
Wind wohl nicht zu. Wäre heute nicht alles sturmverhangen, könnte man sicher
bis nach Burgos hineinschauen.
Beim Abstieg
bessert sich das Wetter zusehends, der Sturm legt sich und die Sonne wird
langsam wieder zum Quälgeist. Unten angekommen, treffen wir auf ein
verkehrsarmes Sträßchen, können nebeneinander gehen und ein bisschen
miteinander plaudern. Meine hübsche Begleiterin ist Brasilianerin und lebt in
Brasilia. Ja, sie ist zum ersten Mal in
Europa und will sich noch eine Menge ansehen, Madrid und Paris, vielleicht auch
London und München. Die Pilgerreise, die sie allein unternimmt, hat sie an den
Anfang gestellt, weil sie Angst hat, dass später das Wetter zu schlecht sein
könnte. Dann will sie auch vieles von mir wissen. Ich erzähle ihr von meiner
Familie und meiner Heimat und aus meinem Leben. So vergeht die Zeit sehr schnell,
auch in den langgezogenen Industrievororten von Burgos.
Gegen 14 Uhr
stehen wir in der großen Kathedrale. Danach setzen wir uns in ein Straßencafé
vor der Kirche und strecken unsere Beine aus. Sie will nicht in Burgos
übernachten, sie will noch weiter, und so verabschieden wir uns voneinander.
Wie wir uns dabei nochmals in die Augen sehen, weiß sofort jeder von uns, was
der andere jetzt denkt — und wir müssen beide noch einmal ganz spontan lachen.
Dann setzt sie ihren Rucksack auf, nimmt ihren Pilgerstock in die Hand und geht
langsam um die nächste Häuserecke. Ich habe sie nie mehr wieder gesehen.
Endlich ein
echter Jakobspilger
Ich bleibe
noch in dem Café vor der Kathedrale zu Burgos sitzen und trinke meinen zweiten
„café grande con leche“. Da kommt plötzlich ein älterer Herr zu mir an den Tisch
und schimpft. Mir fällt sofort die Begebenheit von gestern Nachmittag ein. Wir
hatten unsere Rucksäcke schon in der Herberge in San Juan de Ortega abgelegt
und saßen vor der dortigen Kneipe auf ein Glas Bier. Unversehens aber war „er“
aufgetaucht. Niemand hatte bemerkt, woher er gekommen war. Groß, hager und
sehnig, braungebrannt am ganzen Körper, was er durch seinen luftigen Aufzug
noch betonen wollte. Behängen mit drei Jakobsmuscheln und ausgerüstet mit einem
überdimensionalen Pilgerstab, an dem eine Kürbisflasche hing, kam er in
Christussandalen angelatscht. Wir sahen natürlich sofort, dass das kein Pilger
war und amüsierten uns. Aus den Augen ließen wir ihn allerdings nicht. Sein
flackernder nervöser Blick ging immer wieder hinüber an die Stelle, an der der
Weg
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