Auf dem spanischen Jakobsweg
hier tischeben weitergeht, bemerkt man diesen
Einbruch erst, wenn man schon nahe an die Bruchstelle herangekommen ist. Aber
das, was jetzt da unten vor mir liegt, ist nicht die Unterwelt, wie ich es
heute morgen nach meinem Aufstieg empfunden habe. Dort unten verläuft das
Flüsschen Hornazuela, das sich in grauer Vorzeit hier durch die Tafelberge
seinen Weg gebrochen hat und noch heute für Feuchtigkeit und Fruchtbarkeit
sorgt.
Ich hole
Tobias wieder ein und gemeinsam gehen wir hinunter, überqueren auf einer alten
Brücke das Flüsschen und betreten den Ort Hornillos del Camino. Es ist ein
typisches Dorf am Jakobsweg. Eine einzige lange Straße, die „sirga peregrinal“,
führt durch die niedrigen Häuser. Es ist aber auch ein für die Meseta typischer
Ort: viele Häuser sind aus luftgetrockneten Lehmziegeln gebaut und damit genuin
der Landschaft angepasst und — es herrscht eine gespenstische Stille. Man sieht
in diesen Dörfern oft keine Menschenseele, allenfalls mal eine alte Frau oder
einen alten Mann, aber kaum einmal jüngere Leute und am meisten vermisst man
das Lachen der Kinder. Viele Häuser sind am Verfallen, die Straßen dazwischen
immer sehr sauber, sie wirken unbenutzt, auch dies ein eigenartiger,
merkwürdiger Kontrast. Die Landflucht wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten
lässt ganze Dörfer veröden. Wie verbringen die wenigen alten Menschen hier ihre
Tage? Und wie die ganz vereinzelten Jüngeren? In einem Dorf, noch vor Burgos,
traf ich vor ein paar Tagen auf einen noch jüngeren Mann. Er sprach ganz passabel
Deutsch, Französisch und Englisch und führte mir das alles voller Stolz vor.
Aber er war am frühen Vormittag schon stark betrunken. Seine sensiblen
Gesichtszüge waren voll von Hoffnungslosigkeit. Ich habe lange mit ihm
geplaudert, er tat mir leid, sein Bild geht mir nicht aus dem Kopf.
Wir steigen
hinter Hornillos wieder auf das tischebene Plateau hoch. Erneut das gleiche
Bild. Endlose, in der Sonne glühende Stoppelfelder. Die Meseta ist hier aber
keine Steppe. Weil in diesem Gebiet die Hochebene mit Wasser aus dem Gebirge
bewässert werden kann, wächst hier zumindest Getreide. Es sind riesige Felder,
Großlandwirtschaft, dafür braucht man heute keine Menschen mehr. Rechts von uns
taucht nach einiger Zeit eine Schafherde auf. Der Hirte steht, unter dunklen Tüchern
vor der Sonne geschützt und gestützt auf seinem Stock, regungslos wie ein
Denkmal in der Einsamkeit und Eintönigkeit der Landschaft. Aber auch in seiner
Herde ist, jetzt in der Mittagshitze, keinerlei Bewegung, die Tiere stehen
dicht aneinander gekauert und versuchen ihre Köpfe unter den Leibern der
anderen vor der erbarmungslosen Sonne zu schützen.
Etwas später
steht ein einzelner Esel unmittelbar am Wegesrand, nimmt aber scheinbar
keinerlei Notiz von uns, lässt sich sogar streicheln. Als wir weitergehen, läuft
er uns im Abstand weniger Meter nach. Wir hoffen schon, einen Gepäckträger bis
Santiago gefunden zu haben. Doch plötzlich bleibt er stehen und will nicht mehr
mit uns weiterlaufen. Vielleicht hat er unsere hinterhältigen Gedanken erraten?
Es soll irgendwo auf dem Camino, so erzählt man es sich in den Herbergen, einen
Hund geben, der einzelne Pilger oft mehrere Tagesetappen begleitet und dann
plötzlich wieder verschwindet. Wahrscheinlich hat er herausgefunden, dass er
auf diese Art und Weise ganz honorig seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.
Ganz mit nach Santiago will er offenbar doch nicht.
Nach einer
weiteren guten Stunde führt der Weg wieder abwärts, ins Tal des Bächleins San
Bol. Hier gibt es kein Dorf, nur eine Pilgerquelle, an der wir auf Heinz treffen
und ausgiebig Brotzeit machen. Aber wir müssen weiter, es ist noch ein langer
Weg über Hontanas bis Castrojeriz, wo wir übernachten wollen.
Das Land,
durch das wir wandern, wird nicht nur von sommerlicher Hitze und gewaltigen
Regenstürmen im Winter heimgesucht. Früher gab es hier auch ganz andere Plagen.
Domenico Laffi, ein Geistlicher aus Bologna, der im Jahre 1673 auf dem Weg nach
Santiago war, weiß von der Gegend um Hontanas jedenfalls zu berichten, dass die
Wölfe dorthin in solchen Mengen kommen, dass sie, wenn sie kein Lagerfeuer
sehen, das Vieh fressen, sei es Tag oder Nacht.
Und er
schreibt auch, dass der weitere Weg nach Castrojeriz immer mit diesen
verfluchten Heuschrecken bedeckt ist, die nicht nur die Früchte und das Gras
verschlingen, sondern auch die Weinreben und sogar die Bäume. Es ist
schrecklich
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