Auf dem spanischen Jakobsweg
Stirn und meine Füße
schmerzen von der vielen Pflastertreterei am heutigen Tage in Burgos.
Der
beginnende Abend hat eine andere Seele als der anbrechende Morgen, den wir fast
täglich erleben. In der Abendstimmung liegt ein Hauch des Verlöschens, des
Resignierens, die Farben werden schwächer, das Licht schwindet, die Welt wird
kleiner, sinkt in sich zusammen. Der Morgen in der Natur wirkt dagegen
ungeduldig und drängend, fast etwas triumphierend. Er möchte wohl zeigen, wie
schön Gottes Welt ist.
In der kleinen,
familiären Herberge in Tardajos teilen wir unser Zimmer mit einem jungen Paar
aus Frankreich. Sie ist eine auffallende dunkelhaarige Schönheit aus dem
französischen Baskenland. Beiden sieht man an, dass sie gute Sportsleute und
nette Pilgerkollegen sind. Gemeinsam mit ihnen setzen wir uns noch ins Freie
vor die Herberge. Heinz spielt Mundharmonika. Eine Katze schleicht bettelnd um
uns herum. Wahrscheinlich riechen wir nach Salami und Schinken. Wir sind froh,
dass wir wieder auf dem Lande sind.
Ein Tag in
der Meseta
Kurz nach 6
Uhr, im ersten schwachen Morgenschimmer, verlassen Tobias und ich die Herberge
in Tardajos, Heinz ist schon vorausgegangen.
Meine Füße
schmerzen nicht mehr, ich fühle mich gut. Auch mein Rücken hat sich schon
längst an den Rucksack gewöhnt. Wären da nicht zwei Flohstiche, die ich mir
schon etliche Etappen vor Burgos eingefangen habe und die jetzt heftig jucken,
weil der kleine Akrobat direkt dort seine Bohrungen angebracht hat, wo die
Riemen des Rucksacks auf meinen Schultern reiben, hätte ich überhaupt nichts
zum Schimpfen.
Auf einem
schmalen, asphaltierten Weg laufen wir durch das fruchtbare Tal des Baches
Urbel bis zum Dorf Rabé de Las Calzadas. Am Ende des noch schlafenden Dorfes
wandern wir dann rechts an der kleinen Einsiedelei Nuestra Señora del
Monasterio und schließlich auch noch am Friedhof vorbei. Auf einem Feldweg geht
es dann sanft bergauf. Links und rechts abgeerntete Getreidefelder, zum Teil
terrassenförmig angelegt, ein paar niedrigwachsende Büsche, die aus dem noch
schwachen Licht des Morgengrauens herausragen, als hielten sie schon mal
neugierig Ausschau nach dem neuen Tag. Wenn wir zurückschauen, in Richtung
Osten, sehen wir in unendlichen Fernen schon ein paar schmale, dunkelrote
Glutschnüre am Horizont entlangfiebern. Doch schon nach kurzer Zeit, bei
unserem nächsten Blick zurück, haben diese sich zu hellroten Feuerstreifen
geöffnet, die, unterbrochen von aschgrauen Adern, in schwefelgelben Rändern
verschwimmen und sich schließlich, schon fast über uns, im noch fahlen Blau des
beginnenden Tages verlieren. Die Dynamik der ständig ineinanderfließenden
Farben erweckt den Eindruck, als habe am anderen Ende der Welt Hephaistos, der
hinkende Gott des Feuers und des Schmiedehandwerks, eine gigantische Esse angeblasen.
Wir steigen in
der Stille des Morgens weiter bergan und haben nach kurzer Zeit, plötzlich und
ohne Übergang, die Höhe erreicht. Wie aus der Düsternis der Unterwelt kommend,
stehen wir unversehens auf der Tischplatte der Meseta, im Reich der Sonne und
des Lichts, in dem die leuchtende Unendlichkeit abgeernteter Getreidefelder
einem Ozean aus Gold gleicht, der uns das Licht der Sonne triumphierend in die
Augen wirft. Jetzt
haben wir sie betreten, die baumlose, schattenlose, wolkenlose, die gnadenlose
Hochebene im Innern Spaniens.
Ein schmaler
Sandweg, eigentlich nur zwei Pfade im Abstand einer Radachse, gesäumt von hohen
Gräsern, die schon lange verdorrt sind, zieht sich schnurgerade vor uns hin,
die beiden Pfade vereinigen sich in einiger Entfernung, werden bald zum Strich
und verlieren sich schließlich noch vor der Linie, wo sich Himmel und Erde
begegnen. Die Sonne, zuerst ein rotes, unscheinbares Kügelchen in weiter Ferne,
sie wächst und wächst, kommt von hinten lautlos näher, ist sehr viel schneller
als ich armer Pilger, holt mich ein und legt sich schließlich wie eine in Brand
geratene, lodernde Decke über mich und alles andere, was um mich herum ist.
Wir laufen,
jetzt schon auseinandergezogen, jeder für sich, wie eine Präzisionsmaschine
westwärts. Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug, Herzschlag für Herzschlag,
im exakten Rhythmus eines Uhrwerkes. Und die Gedanken werden durch nichts
abgelenkt. Das Bild, in das ich unentwegt hineinschaue, ist zur Stereotypie
erstarrt, verändert weder Form noch Farbe noch Inhalt. Der Horizont kommt
keinen Meter näher. Meseta, Metapher für
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