Auf dem spanischen Jakobsweg
neben meinem Atem das einzige Geräusch in dieser
Unendlichkeit. Vor allem auf meiner rechten Seite stehen in dieser
ausgetrockneten Hochebene vereinzelt noch Baumgruppen, meist Steineichen, mehr
buschartig am Boden klebend als hineinwachsend in den endlosen Himmel über
ihnen. Allmählich aber, je weiter ich in dieses Hochland hineinwandere, treten
diese grünen Inseln zurück und verschwinden schließlich in schmalen grünen
Rändern am Horizont, weit weg von mir. Ich laufe jetzt durch eine baumlose
Steppe, die nur noch zwei Farben duldet, das helle Gelb ihrer verdorrten Gräser
und das tiefe Blau des Himmels. Die einzige Ablenkung ist auch hier — so, wie
wir es schon in den Pyrenäen gesehen haben — ein stark abgefressener
Schafskadaver. Aber ich entdecke weder Wölfe noch Geier.
Nach knapp
fünfzehn Kilometern, es geht jetzt wieder abwärts, erreiche ich das Dorf Villar
de Mazarife und treffe wieder auf Tobias. Wir haben beide großen Durst und auch
Hunger und legen deshalb an einem Brunnen eine Rast ein. Dann geht es,
teilweise auf unbefahrenen Asphaltsträßchen, überwiegend jedoch auf Sandwegen,
weiter. Das Landschaftsbild hat sich vollkommen verändert. Aus der Steppe
kommend, haben wir jetzt eine grüne Huerta, eine Oase, betreten. Weil das Land
hier bewässert werden kann wachsen Mais, Getreide, Rüben, Wein und Gemüse. Man
ahnt schon die Nähe des Flusses Órbigo. Es ist heiß geworden, sehr heiß. Später
wird man uns in der Herberge erzählen, dass heute das Thermometer, obwohl wir
schon in der zweiten Septemberhälfte sind, nochmals 35 Grad erreicht hat. In
der ausgetrockneten Steppe mit der leichten Brise war das gut zu ertragen, aber
hier ist die Luft feucht und schwül. Und der Weg will kein Ende nehmen. Unsere
ohnehin leichten Sommerkleider sind schon nach kurzer Zeit patschnass
geschwitzt und immer noch läuft uns der Schweiß aus allen Poren. Wir sind heute
noch keinem einzigen Pilger begegnet. Schweigend laufen wir zügig weiter, nur
jetzt nicht schlapp machen. Plötzlich sitzt Heinz dort, im Staub der Straße und
mit heraushängender Zunge. Er hatte also auch diese Wegalternative entdeckt.
Doch wir müssen weiter, bis Hospital de Órbigo ist es noch ein langer Weg und
unsere Wasservorräte sind fast aufgebraucht.
Donquijote
oder nur ein Wegelagerer?
Endlich am
Río Órbigo angekommen, stehen wir schon nach kurzer Wegstrecke vor den zwanzig
Bögen der berühmten steinernen Brücke über diesen Fluss. Bereits von den Römern
erbaut, musste sie in den nachfolgenden
Jahrhunderten mehrfach ausgebessert und umgestaltet, sogar in ihrem
Richtungsverlauf verändert und dabei geknickt werden. Trotzdem trägt sie noch
heute unverkennbar die Handschrift aus Rom.
Brücken
waren schon immer und vor allem in den alten Zeiten Orte, an denen sich
Menschen begegnet sind, Informationen ausgetauscht und Handel getrieben,
miteinander gelacht und gefeiert haben. Manchmal sind sie sich an diesen
Plätzen aber auch gegenseitig auf den Leib gerückt. So haben an dieser Brücke
schon im Jahre 452 Sueben und Westgoten aufeinander eingedroschen und um das
Jahr 900 der asturische König Alfons III., der Große und die Mauren aus
Cordoba. Einem aber fiel, offensichtlich von Langeweile geplagt, vielleicht
auch um einer adligen Dame zu imponieren, etwas ganz Besonderes ein. So
berichtet als Augenzeuge der Notar Pedro Rodríguez de Lena aus dem Jahre 1434
von einem „ehrenvollen Waffengang“, den sich der leonesische Ritter Quiñones
für den Platz vor dieser Brücke hat einfallen lassen, eine Idee, die ihn sogar
unsterblich werden ließ. Fünfzehn Tage vor und fünfzehn Tage nach dem
Geburtstag des Apostels Jakobus, der auf den 25. Juli fällt, wollte er alle
nach Santiago ziehenden Ritter im Rahmen eines Turniers zum Zweikampf
herausfordern, bevor diese dann über die Brücke weiterziehen durften. Und damit
nur ja viele Ritter kämen, ließ er schon lange vorher seine Herolde in alle
Lande ausströmen und sein Vorhaben verkünden. Natürlich kamen die Caballeros
auch in Scharen herbeigeritten, das war damals eine Sache der Ehre. Das Turnier
konnte also pünktlich beginnen.
Sechzig
Lanzen, manche berichten sogar noch viel größere Zahlen, hatte der wackere
Quiñones in jenen aufregenden Tagen gebrochen und ein Ritter aus Aragón soll
dabei sogar zu Tode gekommen sein. Am Ende aber begab sich die ganze höfische
Gesellschaft gemeinsam nach Santiago, wo Quiñones ein Halsband seiner
Angebeteten
Weitere Kostenlose Bücher