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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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drei Altarnischen und wird von einem mächtigen Turm
abgeschlossen. Berühmt sind die beiden Südportale, das sogenannte „Portal des
Lammes“ (Agnus Dei) und das „Portal der Vergebung“. In dem schon älteren, seinerzeit
nicht abgerissenen Pantheon sind elf Könige, zwölf Königinnen und 21 Mitglieder
des Hochadels beigesetzt. Diese Säulenhalle wurde zwischen den Jahren 1157 und
1188 mit noch heute gut erhaltenen Temperamalereien ausgeschmückt, die diesem
Raum den Namen „Sixtinische Kapelle der spanischen Romanik“ eingebracht haben.
Zwei Kreuzgänge sind allerdings erst Jahrhunderte später angebaut worden. Im
Kirchenmuseum liegen unermeßliche Schätze, deren Alter bis in die vorromanische
Zeit hineinreicht. Besonders beeindruckend ist ein elfenbeinerner Kruzifixus
aus dem 12. Jahrhundert. Bewundern kann man aber auch die Bibel des Heiligen
Martin und viele andere Kostbarkeiten.
    Von diesem
Kirchenkomplex wird wohl jeder beeindruckt sein. Schade, dass Pilger immer
weiterziehen müssen. Wir bummeln durch die verwinkelte Altstadt nochmals zur
großen gotischen Kathedrale, die wir
gestern schon besucht haben. Nach einem erneuten Rundgang durch diese herrliche
Kirche und anschließend durch das dazugehörige Museum ermüden wir langsam und
unsere Aufnahmefähigkeit schwindet. Die berühmte, etwa hundert Meter lange und
prächtige Renaissancefassade von San Marcos, einem Ordenspalast der
Santiago-Ritter aus dem 16. Jahrhundert und heute ein Nobelhotel, schauen wir
uns allerdings noch in Ruhe an. Unmittelbar angrenzend an diese Pracht steht
noch heute das bescheidene Pilgerhospiz aus wesentlich älterer Zeit. Kontraste,
die auch vom Wertewandel in der Kirche künden.

    Es ist
früher Nachmittag und auch wieder sehr heiß geworden. Hunger und Durst treiben
uns in eine Bar. Danach schlendern wir in die Parkanlagen am Río Bernesga. Hier
stehen im Schatten großer Bäume viele Bänke, auch kann man die geplagten
Pilgerbeine ausstrecken. Das Bier in der Bar hat zwar den Durst gelöscht, uns
gleichzeitig aber auch schläfrig gemacht. So findet jeder von uns seine Bank,
um sich der Länge nach hinzulegen. Wir drei haben inzwischen ziemlich struppige
Bärte, wie man sie in Spanien bei anständigen Menschen selten sieht. Auch
unsere Pilgerstöcke, Insignien für einen gottesfürchtigen und gesitteten
Lebenswandel, stehen im Kloster. So will den Leonesen, die hier an uns
vorbeiflanieren, wohl dämmern, dass ihre Stadtstreicherszene Zuwachs erhalten
hat: Durch die von meiner Schläfrigkeit schon sehr eng gewordenen Sehschlitze
zwischen meinen Augenlidern kann ich gerade noch erkennen, dass die
Spaziergänger im Park einen sichtbaren Bogen um uns machen. Da kommt in mir für
einen Augenblick diebische Freude auf bei dem Gedanken, wie würdevoll ich mich
früher, im Beruf, unter noch Würdevolleren oft bewegen musste. Aber schon
Sekunden später war ich in den mütterlichen Armen dieser alten und schönen und
verständnisvollen Stadt eingeschlafen.
     
     

Durch Steppen
und Oasen
     
    Auch heute
verlassen wir unsere Unterkunft noch bei Dunkelheit. Weil die kommunale
Herberge, in der wir diese Nacht verbracht haben, im Osten der Stadt liegt,
müssen wir als erstes ganz León durchlaufen. Das ist aber kein Problem. Wir
gehen an den Río Bernesga hinunter und dann in den Parkanlagen, die hier den
Fluss begleiten, westwärts. Unmittelbar vor dem Klosterpalast San Marcos
überqueren wir auf der Brücke gleichen Namens den Bernesga. Gleich auf der
anderen Seite des Flusses führt der auch hier gut markierte Jakobsweg zunächst
am Quevedo-Park vorbei. Quevedo? Da bleibe ich doch einmal stehen und schaue
zurück über das Wasser, wo sich die monumentale Fassade von San Marcos, ehemals
Residenz der Santiagoritter, langsam aus den Farben der Nacht befreit. Einer
der Santiagoritter hingegen hatte hier seine Freiheit verloren. Ja, dort
drüben, hinter diesen Mauern, hatten sie Quevedo, den weltberühmten Satiriker —
und eben auch Santiagoritter — vier Jahre lang eingesperrt, ohne dass er
eigentlich wusste, was man ihm zur Last legte. Auch die Zustände in seinem
Verlies entsprachen nicht den prächtigen Fassaden des Palastes. So schreibt er
im Jahre 1641 aus seiner Zelle:
    Ich wurde im strengsten Winter
ohne Mantel nach San Marcos gebracht und war 61 Jahre alt. Hier aber hat man
mich die ganze Zeit im strengsten Gewahrsam gehalten und ich habe drei Wunden, die
durch die Kälte und durch die Nähe eines Flusses, den ich am

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