Auf dem Weg nach Santiago
auch sie weinten. Ich fürchtete ihren Zorn,
kniete daher nieder, bat sie um Verzeihung für meine Dummheiten und sagte, sie
möchten mich segnen. Sie segneten mich weinend vor Freude und Zufriedenheit.
Sie schlachteten kein Mastkalb, denn sie hatten keines, auch kein fettes Schaf,
denn auch das fehlte ihnen; sie riefen nicht die Verwandten und Nachbarn
herbei, diese kamen nämlich von selbst, um mich zu sehen und mich zu meiner
Rückkehr in die Familie zu beglückwünschen.« 5
Überall werden die Heimkehrer mit
Freude empfangen; man umarmt sie, man berührt ihre Kleider, wie um ein wenig am
Gnadenstand der Pilger teilzunehmen; man feiert mit ihnen, man hört ihnen zu —
sie haben so viel zu erzählen. So heißt es im »Großen Wallfahrtslied«:
De Blaye fîmes diligence
Vers nos parents
Qui nous croyaient pendant l’absence
Morts ou mourants
Ils nous connurent à l’instant
A nos casaques
Nous leur donnâmes largement
De bijoux de Saint-Jacques.
Von Blaye eilten wir
Zu unseren Angehörigen,
Die uns während unserer Abwesenheit
Tot oder sterbend glaubten.
Sie erkannten uns sofort
An unseren Mänteln.
Wir gaben ihnen reichlich
Von Santiagos Schätzen.
Schon schnitzen einige mit Stolz eine
Jakobsmuschel in den Türsturz. Andere lassen ihr Testament für nichtig
erklären: Pierre Castelnau und Raymond Dupouy aus Vic-Fezensac im Jahre 1452;
Arnaud Gardère aus dem Dorf Pléhaut im Jahre 1455 ; 6 auch Pierre Ricar aus Roquebrune 1466, achtjahre nach seiner Abreise.
Die vom Gericht zur Wallfahrt
verurteilten Büßer weisen den Behörden ihre abgenutzten Ketten oder die
Bescheinigungen der Chorherren von Santiago vor; sie sind nun frei.
Auch der französische Pilger, der sich
auf den Weg gemacht hatte, um vom Apostel ein Kind zu erflehen, ist
zurückgekehrt; er ruht sich zuerst klugerweise drei Tage aus und »nähert sich
dann seiner Frau«. Sie bekommt bald einen Sohn. Sie nennen ihn Jacques. 7
Im Jahre 1666 entdeckt der Schuhmacher
Malphettes aus Albi, daß sein Konkurrent ihm während der Abwesenheit die
Kundschaft abspenstig gemacht hat; er verlangt vor Gericht Schadenersatz. 8
Am 22. August 1671 heiratet Antoinette
Salesse de Sauvane im Kloster Cabrespine im Coussane-Tal bei Estaing Jean
Bessières mit besonderer Erlaubnis, da ihr erster Mann, Victor Villescazes, vor
elf Jahren nach Compostela aufgebrocchen war und nicht mehr zurückkehrte. 9 Im elsässischen Schlettstadt erlangt eine Pilgers-»Witwe« aus demselben Grund
das Bürgerrecht. 10
In den Registern der Jakobsbruderschaft
von Lyon steht neben dem Namen eines Pilgermitbruders »verstorben« — die Notiz
wurde später durchgestrichen und durch »auferstanden« ersetzt. 11
Angostus von Burwell macht um 1100 bei
seiner Rückkehr der Abtei La Sauve-Majeure ein Grundstück in England zum
Geschenk. 12 Pons von Leras hatte sich 1132 aufgemacht, um für seine
Räubereien und sein liederliches Leben Buße zu tun; nach der Heimkehr verteilt
er alle seine Güter an die Armen. Seine Frau und seine Tochter werden
Benediktinerinnen, sein Sohn Benediktiner. Er selbst gründet ein kleines
Kloster, das unter dem Schutz des Papstes Innozenz III. und der Mönche von
Citeaux berühmt werden sollte: Sylvanes. 13 Birgitta von Schweden und
ihr Mann Ulf Gudmarsson kommen 1343 aus Compostela zurück und beschließen, sich
nach 23jähriger Ehe zu trennen, um ins Kloster einzutreten. Birgitta erlebt
himmlische Erscheinungen und wird durch Bonifaz IX. und das Konzil von Konstanz
heiliggesprochen. 14
In Dünkirchen legt ein Schiff aus
Konstantinopel an. An Bord hält sich Jacques Lemesre versteckt, der Sohn jenes
Juweliers aus Lille, der, wie wir wissen, nach Compostela aufgebrochen war, um
dort für die Gesundung seiner Mutter zu beten, auf dem Meer aber von Piraten
gefangengenommen und als Sklave verkauft wurde. Er begibt sich von Dünkirchen
nach Lille und betritt sein Elternhaus. Nach dreijähriger Abwesenheit erwartet
ihn niemand mehr. Für die Mutter ist die Erschütterung zu stark: Sie stirbt an
dem Schock. 15
Einige Jahre nach seiner Rückkehr wird
Jean Bonnecaze aus Pardies Pfarrer von Angos — und der ehemalige Pilger »mit der
schwächlichen Gesundheit« lebt bis zum Alter von 78 Jahren.
Und Sie? Was wird aus Ihnen? Sie haben
den Ihren, von denen Sie empfangen wurden, erzählt, von den Heiligtümern, den
Begegnungen, den Regenbogen; Sie haben lange gesprochen von Ihren Weggefährten,
von Aymeri Picaud, seinen Launen und
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