Auf dem Weg nach Santiago
heiligen Jakobus« verkauft werden. 33 Übrigens gewähren die
Päpste Alexander III., Gregor IX. und Klemens X. einer nach dem anderen dem
Erzbischof von Compostela das Recht zur Exkommunikation derer, die anderswo als
in der Stadt des Apostels solche Muscheln feilbieten. 34
Die Muschel verwandelt sich allmählich
aus einem allgemeinen Pilgersymbol in das Zeichen der Erfüllung des
Gelöbnisses, nach Santiago zu ziehen; ja sie wird sogar zum Sinnbild einer
besonderen Verehrung des heiligen Jakobus . Bald trägt
man sie bereits beim Aufbruch nach Compostela. Sie wird eines Tages ihrem Sinn
entfremdet durch die falschen Santiagopilger — die coquillards (Muschelbrüder) — und durch die »Liebespilger« (vgl. hierzu das 10. Kapitel).
Das Testament ist also gemacht. Von
Ihrem Pfarrer oder Bischof haben Sie ein Empfehlungsschreiben eingeholt. Auch
das Geld ist da. Sie haben sich Ihrer üblichen Kleidung entledigt und das
Gewand des großen Weges angelegt. Der Tag des Aufbruchs naht. Nun bleiben Ihnen noch zwei Dinge zu tun: beichten
und Ihre Seele auch durch ein beispielhaftes Almosen reinigen; es stempelt Sie
sinnbildlich zu einem jener Armen, denen das himmlische Jerusalem verheißen
ist.
Jean Taillefier, Schreiber am
Schöffenamt in Namur, notiert in dem Buch, das er im Amt zu führen hat, seine
eigene Abreise nach Santiago: »Im Jahre 1434, am achtzehnten Tag des März,
einem Donnerstag, hörte dieser Taillefier in der Kapelle des Jakobsspitals die
Messe [...]; dann rief er seinen Vater Noël [...] und sagte ihm, daß man bei
der Abreise wohl wisse, wohin es gehe, nicht aber, wie es mit der Rückkehr
stehe.« 35
Devant me mettre en voyage
Je fis comme un homme sage
M’étant dûment confessé
Je reçus pour témoignage
Un écrit de mon curé
Bevor ich mich auf die Reise mache,
Tue ich wie ein weiser Mann:
Ich beichte gebührend
Und erhalte als Beweis
Ein Schreiben meines Pfarrers.
So erzählt das Lied von Valenciennes.
Am 2. Februar 1431 macht die Witwe eines Zimmermanns aus Melun vor ihrem
Aufbruch dem Jakobsspital eine Schenkung. Im Jahre 1170 erfährt die Abtei
L’Absie die Freigebigkeit des Herrn von Parthenay, Guillaume IV. Larchevêque. 36 Um 1200 vermacht Jean de Salines der Abtei Saint-Nicolas-des-Prés hundertfünf
Sols und vierundzwanzig Deniers jährlicher Abgaben, dazu jedes Jahr sechs
Kapaune und ein volles Maß Hafer. 37
Die letzte Zeremonie ist die Segnung
von Beutel und Stab. Sie knien und beten: »Demütig und ergeben bitten wir,
diesen Beutel und diesen Stab zu segnen .«
Der Pfarrer segnet Sie: »Empfang diesen
Beutel als Zeichen deiner Pilgerschaft, damit du durch deine Buße dein Heil
verdienest und an das Ziel deines Pilgergelübdes gelangest. Empfange diesen
Stab; er verleihe dir, die Schlingen des bösen Feindes zu überwinden und das
Ziel zu erreichen .« 38
Ihre Gefährten sind genauso ergriffen
wie Sie selbst. Ihre Familie steht da und wiederholt die rituellen Gebete.
Vielleicht sehen Sie sie niemals wieder.
Quand nous partîmes de France en grand
désir
Nous avons quitté père et mère tristes
et marris . 39
Als wir aus Frankreich aufbrachen mit
großer Sehnsucht,
Haben wir Vater und Mutter verlassen,
traurig und betrübt.
So sangen die Pilger aus Frankreich.
Und die aus Aurillac:
Avem layssatz nostre parents
Nostras molher et nostras gens . 40
Wir haben unsere Eltern verlassen,
Unsere Frauen und unsere Leute.
Oder die Basken:
Adio ene aita eta ama
Adio ene adiskide maitiac
Quitatcen cutiet oray oro
Banoua Saint-Jacqueserat . 41
Leb wohl, Vater, leb wohl, Mutter,
Lebt wohl, meine lieben Freunde.
Nun verlasse ich euch alle,
Ich gehe nach Santiago.
Die große Schar betet mit Ihnen
gemeinsam:
»O
Gott, du hast Abraham aus seinem Land herausgeführt und ihn auf allen seinen
Wegen behütet. Gewähre auch deinen Kindern diese Gnade und diesen Schutz.
Stärke uns in Gefahr, behüte unseren Schritt. Sei uns kühler Schatten gegen den
Brand der Sonne, schützender Mantel gegen Regen und Frost. Trag uns in Ermüdung
und verteidige uns in jeder Not. Sei uns ein fester
Stab gegen den Sturz und ein Hafen, der die Schiffbrüchigen aufnimmt. Laß uns
unter deiner Führung mit Sicherheit unser Ziel erreichen und gesund und heil wieder
nach Hause kehren .« 42
Sie reißen sich los von den Ihren,
deren Hände, deren Rufe Sie festhalten und zugleich vorantreiben. Sie sind
dabei, ein anderer Mensch zu werden.
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