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Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
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Quellen und Lichtungen, Steinbrüche und
Holzwege, Rodungen, Furten und Brücken folgen einander, der Weg selbst bleibt
unvorhersehbar in seinem Lauf. »Der Verkehr«, so schreibt Marc Bloch, »wird
nicht auf einigen Hauptstraßen fortgeschleust. Er verbreitet sich eigenwillig
in eine Menge kleiner Rinnsale .« 1 Rings um
die Schlösser, Abteien und befestigten Marktflecken flicht sich ein
unentwirrbares Netz von Pfaden, ausgetrockneten Bachbetten, Durchgängen und
Feldwegen; sie schmiegen sich an das Gelände an, benutzen den Rand der Äcker
und die Spuren uralter Gewohnheit.
    Die meistbegangenen Pfade werden zu
Wegen. In ihnen zeichnen sich schon die großen Verbindungen ab, denn sie sind
die bequemsten und zweifellos auch am besten mit Rastmöglichkeiten
ausgestatteten. Wenn aber die Launen der Wasserläufe Furten verschieben oder
die Mönche neue Brücken bauen, müssen sich dem auch die Wege wohl oder übel
fügen.
    Sie sind selten oder schlecht
instandgehalten. Sobald es also regnet oder in der Nähe eine Baustelle
entsteht, verwandeln sie sich im Nu in eine Schlammgrube; die schweren
Rollwagen schaffen die zum Bau der Kirchen und Schlösser benötigten Steinblöcke
und Balken heran, durchbrechen dabei den planlos hingeschütteten
Straßenunterbau und graben tiefe, dauerhafte Furchen in die Wege. In der nordwest-französischen
Landschaft Maine »sind die Wege fast alle unbenutzbar sowohl wegen des
holprigen Geländes als auch wegen des klebrigen Schlamms, der sie bedeckt, weil
sie fast nie trocknen, denn sie sind von Bäumen gesäumt und überdeckt und
übrigens eng und tief ins Gelände geschnitten«. 2 Im Nivernais ist
der Weggrund stets glitschig. In der Beauce mit ihrer Tonerde müssen sich die
Gemeinden dazu entschließen, die gesamte Wegstrecke von Paris bis Orléans zu
pflastern.
    Erst 1715 wird ein Markgraf de Beringhen
zum ersten Generaldirektor der Ponts et Chaussées (Brücken und Straßen)
ernannt, mit einem Jahresgehalt von zehntausend Livres. Bis dahin obliegt die
Instandhaltung der Straßen dem, der den Wegzoll einzieht, oder es übernehmen
ihn örtliche Arbeitskommandos. Im Jahre 1203 überläßt die Witwe des Grafen von
Champagne, Blanka von Navarra, dem Vogt von Sézanne sowie drei Unternehmern für
sieben Jahre die Zolleinnahmen an einer im Bau befindlichen Straße, unter der
Bedingung, daß diese Leute jedes Jahr den siebten Teil des Straßenbaus
übernehmen — die Gräfin ihrerseits liefert das Holz für den Bau von zwei
Brücken. 3 Aufgrund der ständigen Nöte des nicht enden wollenden
Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England, des Durchzugs
plündernder Söldnerbanden und der ständigen Übergriffe durch die Soldateska der
»Grandes Compagnies« leeren sich die Straßen, die Zolleinnahmen schwinden, und
die Instandhaltungsarbeiten werden unterbrochen.
    Gewisse Anlieger schlagen daraus Gewinn , 4 »vor allem in Gegenden guter Böden«, um bei
jedem Vorbeipflügen ein wenig vom Weg abzuzwacken und dadurch zum Schaden der
Durchgangsstraße ein paar Fußbreit Erde zu gewinnen. Anderswo werfen die
pflügenden Bauern die Steine und Wurzeln ihrer Felder auf die Straße: Sie
»säubern ihr Erbe«. Kurz und gut, die gewöhnlichen Wege sind selten angenehm zu
begehen; dazu kommt noch, daß die Fußgänger den Wagen Platz machen müssen und
die berittenen Soldaten sie rücksichtslos in die Äcker und Dornenhecken
hineindrängen.
    Der Straßenzustand ist so schlecht, daß
sich sehr bald die Auffassung verbreitet, es sei ein frommes Werk, freiwillig
an den Ausbesserungsarbeiten mitzuhelfen. Das berühmteste Beispiel am Weg nach
Compostela ist jener Hirte Domingo (Dominikus), der in der Nähe von Näjera in Spanien
sein Leben der Instandhaltung einer Straße, der calzada de Santiago, widmet. Er wurde nach seinem Tod heiliggesprochen. Über seinen sterblichen
Resten hat man ein Heiligtum errichtet, eine Stadt wuchs ringsherum: Santo
Domingo de la Calzada; der heilige Jakobus ehrte die Stätte mit einem seiner
berühmtesten Wallfahrtswunder, das zu diesem Zweck vom heiligen Amandus
ausgeliehen und aus Toulouse eingeführt wurde (vgl. 8. Kapitel).
     
    Da es überhaupt keine Karten gibt, muß
sich der Pilger auf seine Führer verlassen, auf auswendig gelernte Anweisungen
oder auch auf eine besondere Art Wegmarkierung, die montjoies, kleine
Steinpyramiden, die den richtigen Weg kennzeichnen. Ein englischer Reiseführer
aus dem Jahre 1425 beginnt so: »Here beginneth the way that is marked

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