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Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
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also. ZuBeginn des 13. Jahrhunderts streiten sich sogar Pilger um die Ehre, das
Apostelgrab zu bewachen; dabei gibt es Tote. Um die entweihte Stätte zu
reinigen, besprengt man sie mit einer Mischung aus »Weihwasser, Wein und Asche« 17 — das Rezept ist von Papst Innozenz III.
    Der Glaube des Christen wandelt sich
damals nach und nach, nicht jedoch seine Leichtgläubigkeit. Neu ist jedenfalls,
daß das Heil eine Sache des einzelnen wird. Die Armen, die Demütigen, die
Unschuldigen, jene also, denen das Reich Gottes verheißen ist, haben nur in
Gemeinschaft, als Menge, auf Wallfahrt oder Kreuzzug wirkliches Dasein, eine
leicht erregbare Menschenmasse voll Sehnsucht nach Erlösung, stets bereit, sich
auf den Weg zu machen, um gegen den Antichrist zu kämpfen.
    Nach dem trügerischen Endzeittermin des
Jahres 1000 schaffen der wirtschaftliche Aufschwung und das starke
Bevölkerungswachstum die Bedingungen für ein tieferes Nachdenken des Menschen
über sich selbst und seinen Glauben. Ganz sachte entsteht die Anschauung von
einem individuellen Gewissen. Nun wird das Heil zu einer persönlichen
Angelegenheit. Immer bedeutender wird der Platz, den die Sakramente in der
Religion einnehmen. Gott für alle, aber jeder für sich.
    Unterwegs nach Santiago überläßt man
sich nicht mehr bloß der göttlichen Vorsehung. Man kennt jetzt besser die
Herbergen, die Gasthäuser, die Brücken. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott! Man
erkundigt sich über die Abstecher, auf denen man sich Ablässe holen kann — der
Anonymus aus England achtet sehr genau darauf. Man wirft sich nicht mehr
rückhaltlos in die Arme Gottes.
    Bald werden die Pilger aus Aurillac
singen:
     
    Sem in Galicia! O Sant Jacm
    Garda pelgrins de tot pecat
    E dona-lei formatge et blada
    Per poderfar molt pogesada . 18
     
    Wir sind in Galicien! O heiliger
Jakobus,
    Bewahre die Pilger vor jeglicher Sünde
    Und gib ihnen Käse und Korn,
    Damit es viele Le-Puy-Pfennige gibt.
     
    Auf dieser Entwicklungsstufe ist ein
entscheidender Schritt geschehen. Als Jean de Tournai am Ende des 15.
Jahrhunderts ankommt, hat sich die religiöse Glut bereits in eine Art Pflicht,
in Riten und kodifizierte Gnadengüter verwandelt. Es genügt nicht mehr, sich an
den Stufen des Altars niederzuwerfen, um gänzliche Vergebung zu erlangen; man
muß auch beichten und kommunizieren. Alle Pilgerlieder erinnern daran:
     
    Quand nous vînm ‘s en Compostelle
    Nous entrâmes pêle-mêle
    Dedans l’église de Dieu
    Pour honorer d’un grand zèle
    Monsieur saint Jacques en ce lieu.
     
    Nous confessâmes nos péchés
    D’un cœur sincère [...]
    Nous fûmes à la sainte table
    Pleins de ferveur
    Recevoir le corps adorable
    Du doux Sauveur. 19
     
    Als wir nach Compostela kamen,
    Traten wir in buntem Durcheinander
    In die Kirche Gottes ein,
    Um an diesem Ort mit großem Eifer
    Sankt Jakobus zu verehren.
     
    Wir beichteten unsere Sünden
    Aufrichtigen Herzens [...],
    Gingen voll Verlangen
    Zum Tisch des Herrn,
    Um den anbetungswürdigen Leib
    Des gütigen Erlösers zu empfangen.
     
    Jean de Tournai betritt Compostela am
Abend des 25. Januar 1489; es ist Sonntag, und es regnet. Er begibt sich
unmittelbar in das Gasthaus »Zum französischen Wappen«. Erst am anderen Morgen
geht er zur Kathedrale. »Ich beichtete hinter dem Hochaltar, ganz nahe bei
einem kleinen Altar, an dem ich eine Messe lesen ließ. Und hier empfing ich
auch den Leib unseres Herrn Jesus Christus und sagte ihm Lob und Dank für alle
mir erwiesenen Wohltaten und Gnaden .«
    Anschließend widmet er sich einem der
gebührenden Verehrungsriten. »Hernach stieg ich hinter dem Hochaltar eine
Holztreppe hinauf und küßte da oben ein holzgeschnitztes Bildnis [...] des heiligen Jakobus; dieses Schnitzwerk trägt auf dem Haupt
eine Krone, die ich mit meinen Händen nahm und mir aufsetzte. [...] Danach
zeigte man mir den Pilgerstab des genannten heiligen Jakobus ;
er steht in der Mitte der Kirche. [...] Ich hörte ein Glöckchen klingen, und
wir begaben uns ans Ende der Kirche, wo uns das Haupt des heiligen Jakobus, des
großen Apostels und Verwandten Jesu Christi, sowie mehrere andere Heiligtümer
gezeigt wurden. Es ist ein wahrhaft edles Juwel, mit Andacht anzuschauen. In
dieser Kapelle stand einer der Kirchendiener in einem Gewand, dessen eine
Hälfte rot, die andere weiß war. In drei Sprachen, nämlich Latein, Deutsch und
Französisch [...], sagte er einem jeden, der nicht fest glaubt, daß der Leib
des heiligen

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