Auf dem Weg nach Santiago
Jakobus unter dem Hauptaltar der Kirche eingefaßt oder eingemauert
ist [...], daß er seine Wallfahrt umsonst gemacht hat .«
An die Anwesenheit des Apostelleibes
glauben oder nicht glauben? Jean de Tournai ist durch Toulouse gekommen und hat
dort bereits etwas verehrt, das man ihm als die wahren Reliquien des heiligen Jakobus vorgezeigt hat. Die beiden Jakobusse könnten ihn
verwirren; doch mit entwaffnender Schlichtheit zieht er sich aus der Klemme.
»Ich habe beide Orte gesehen«, erzählt er, »und für meinen Teil glaube ich, daß
der Leib in Toulouse liegt, das Haupt aber in Santiago. Auf weiteren Streit
will ich mich nicht einlassen, und damit Schluß .« 20
Sieben Jahre später entdeckt Arnold von
Harff seinerseits Compostela. Er schreibt: »Compostella is eyn kleyn schoyne
lustich steetgen [...]. Hie inne lijcht eyn schone groisse kirche. Uff deme
hoigen altaer steyt eyn groiss hultzer heylich, in ere sent Jacobs gemaicht,
vffhauende eyn syluer kroyn, dae die pylgrym hinder deme altaer vff stijgen ind
settzen die kroin vff yere heuffter, dae mit die inwoner vns duytscher spotten.
Item man wilt sagen dat der lijchanam sent Jacobs des meirrer apostel sulde
sijn ader lijgen in deme hoigen altaer. Etzliche sagen waerafftich neyn, as er
lijcht zo Tolosa in Langedock .«
Von Harff möchte der Sache auf den Grund
gehen. Er bietet reichliche Gaben, damit man ihm den heiligen Leib zeige,
bekommt indes zur Antwort: »Soe wer nyet gentzlich geleufft, dat der heylige
corper sent Jacobs des meirre apostel in deme hoigen altaer leege ind dae an
tzwyuelt ind dat corper dan sien wurde, van stunt an moiste er vnsynnich werden
wie eyn raesen hunt.« Der junge Deutsche glaubt nun zu wissen, woran er ist,
denn er fährt fort: »Dae mit hat ich der meynonghe genoich ind vir gyngen voert
vff die sacrastie. Dae tzoent man vns dat heufft des kleynen sijnt Jacobs
apostel ind vil anderen heyltums.« 21
Nach seinem unfreiwilligen Umweg über
Lissabon kommt Jean Taccouen »am guten Freitag [Karfreitag] morgens um sieben«
in Compostela an. »Es gab so viele Pilger, daß keine Unterkunft mehr frei war.
Man mußte bei Bürgern und Handwerkern übernachten; die armen Leute gingen ins
Hospital .« Schließlich findet er ein Obdach in einer
Herberge nahe dem »Wilden Mann«, und er wird gut behandelt. »Wirtin und
Bedienung waren aus Flandern und brachten zu essen .«
Er besucht den Domschatz und hört sich
die französisch und deutsch gesprochenen Erklärungen über die Reliquien an,
»deren kostbarste das Haupt des heiligen Jakobus des Jüngeren ist«; er kann
sich jedoch eines Zweifels nicht erwehren. »Man gibt zu verstehen, daß sich der
Leib des heiligen Jakobus unter dem Hochaltar befinde;
ich sehe aber nichts davon, und man zeigt den Pilgern auch nichts. Mir scheint,
am Osterfest sollte man doch etwas zeigen oder öffnen wie anderswo .« 22
Einige Jahrzehnte lang zeigte man auch
das mit einer Eisenkette gegen Diebstahl gesicherte Beil, »mit welchem dem
heiligen Jakobus der Kopf abgeschlagen worden ist«; es handelt sich vermutlich
um eine Votivgabe irgendeines reichen Pilgers, und Legende und Reiseführer
haben sich des Werkzeugs schnell angenommen.
Der Pilgerstab, den Jean de Tournai
gesehen hat, ist beim Besuch Taccouens und Laffis von einer Bleihülle
umschlossen; nur die Eisenspitze ist noch zu sehen. Man kann sie berühren. »Vor
dem genannten Chor, wo die Priester singen, ist eine hohe Säule«, erzählt
Taccouen. »Man legt die Hand darunter und fühlt etwas wie ein spitzes Eisen und
einen Stab. Man erklärt, daß es der Pilgerstab des heiligen Jakobus des Großen
sei .« 23 Der Schutz war notwendig geworden:
Die Pilger hatten die Gewohnheit angenommen, sich von dem Stab Späne als
Reliquien abzuschneiden. Dank jener Maßnahme kann ihn auch noch Manier
zweieinhalb Jahrhunderte später sehen: »Vor dem Chor der Kanoniker steht rechts
ein Pfeiler, an den angelehnt ein Rohr oder eine Hülse aus Eisen steht; darin
ist der wahre Stab des heiligen Jakobus eingeschlossen; die Pilger haben die
Genugtuung, das Eisen unten berühren zu können .«
Dagegen ist das gekrönte »Bildnis« aus
Holz am Hochaltar verschwunden und durch eine Statue aus Gold und Silber
ersetzt; der heute immer noch übliche Brauch hat sich infolgedessen auch
geändert. Manier schreibt: »Auf beiden Seiten [...] stehen zwei versteckte
Treppen [...], die beide bis zur Höhe dieser Jakobusstatue hinaufführen. Wenn
die Pilger da oben angelangt sind,
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