Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
Vom Netzwerk:
wir durch seine Verdienste und seine
Fürbitte über unsere Feinde zu siegen vermögen, so, wie er seine Feinde
besiegte und die Krone des Martyriums erlangte. Auch möge er uns alle würdig
machen, seine wahren Pilger in dieser und in der anderen Welt zu sein und
endlich mit ihm in die Herrlichkeit des gesegneten paradiesischen Reiches
eingehen zu können, das kein Ende mehr kennt. Amen.«
    Der Glaube nährt sich von Wundern, und
das Geheimnis ist seine Wiege. Das Christentum übernimmt häufig Lebensweisen
und Einstellungen der antiken, ja sogar der primitiven Zeit und verwandelt sie
dabei, wenn nötig. So erfindet es auch die Reliquien neu, diese mit
übernatürlichen Kräften ausgestatteten sterblichen Überreste. Die Märtyrer und
die Heiligen treten an die Stelle der Helden und Führergestalten. Vom 4. und 5.
Jahrhundert an wird fast täglich ein neuer »Fund«, also die Aufdeckung
ruhmwürdiger Reste, gemeldet. Eine Reliquie zu berühren oder manchmal sogar nur
zu betrachten gibt Anteil an der Machtsphäre des Heiligen. In einer Welt, in
der das Heilige überall tastbar, greifbar ist, bedeutet die Reliquie eine
elementare, jedem zugängliche Bekundung der Gegenwart Gottes.
    Die Reliquien werden verschieden
eingestuft und erwecken also auch unterschiedlich große Verehrung. Die
wunderbare Auffindung eines vollständigen Apostelleibes — auch wenn es sich um
den eines Enthaupteten handelte — mußte zweifelsohne das gesamte Abendland
erschüttern. Doch das genügt noch nicht. Alfons III. und Ordoño II. beehren
Compostela mit neuen Reliquien. Nach ihnen läßt Diego Gelmirez Anfang des 12.
Jahrhunderts so ziemlich alle Reliquien der Gegend zusammentragen und heimlich
nach Compostela bringen; trotz der Verweise des Papstes weigert er sich, sie
wieder herauszugeben. Das ist der Beginn einer einmaligen Sammlung; sie wird
sich im Lauf der Jahrhunderte anreichern mit vielfachen Schenkungen und
prachtvollen Reliquiaren. Anfang des 14. Jahrhunderts stiftet ein Mann aus
Paris, Godfred Coquatriz, eine vergoldete Silberstatuette, die den heiligen
Jakobus darstellt und deren rechte Hand ein Medaillon mit einem eingefaßten
Zahn des Apostels hält. 12
    Die erste Strophe der Grande
Chanson, des »Großen Wallfahrtsliedes«, drückt es klar aus:
     
    Nous allons partir à Saint-Jacques
    Dans un moment Irons visiter les
reliques
    En pénitents.
     
    Bald brechen wir auf
    Nach Santiago,
    Um büßend
    Die Reliquien aufzusuchen.
     
    Gemeint sind hier nicht nur die
Reliquien von Compostela, sondern auch alle anderen in den Gotteshäusern am
Wallfahrtsweg; die Bedeutung und der Ruf solcher Kirchen gründeten gerade auf
der Bedeutung ihrer Reliquien. Aymeri Picaud widmet ein wichtiges Kapitel
seines Wallfahrtsführers der Aufzählung »der Leiber der Heiligen, deren Gräber
am Pilgerweg nach Santiago liegen und denen die Pilger einen Besuch abstatten
sollen«. Da Aymeri nur von dem berichtet, was er gesehen hat, kennt er die
Kirche San Salvador (Erlöserkirche) in Oviedo nicht; er ist hier nicht
vorbeigekommen. Guillaume Manier macht hier halt; der Umweg sollte sich lohnen.
Er erzählt:
     
    »Zu
der Zeit, da der Perserkönig Chosrau die Stadt Jerusalem verwüstete, entrückte
Gott durch seine mächtige Kraft einen wundersamen Schrein aus unverweslichem
Holz, von den Aposteln selbst verfertigt und voll der Wunder Gottes, aus dieser
heiligen Stadt nach Afrika, von dort nach Cartagena in Spanien, von dort nach
Sevilla, dann nach Toledo, von dort nach Asturien auf den sogenannten Heiligen
Berg und von dort in diese Erlöserkirche von Oviedo. Als man den Schrein
öffnete, fanden sich darin zahlreiche Kästchen aus Gold, Silber, Elfenbein.
Jene, welche sie mit großer Ehrfurcht öffneten, entdeckten bei jeder Reliquie
die Bezeugung geschrieben, die klar und deutlich den Inhalt erklärte. Sie fanden:
    ein
großes Stück vom Schweißtuch unseres Herrn; acht Dornen von der Krone unseres
Herrn [...];
    Brot
vom Letzten Abendmahl;
    Manna,
welches Gott auf die Israeliter niederregnen ließ; ein schönes Stück Haut des
heiligen Bartholomäus, welcher lebendig geschunden ward;
    Milch
von der heiligen Jungfrau Maria; etwas von ihrem Haar;
    einen
der dreißig Silberlinge, für welche Judas den Sohn Gottes verkaufte;
    etwas
vom Haar der heiligen Magdalena, mit welchem sie die Füße unseres Herrn
trocknete;
    ein
kleines Stück vom Stab des Mose , mit welchem er die
Wasser des Roten Meeres teilte;
    ein
Bröcklein von dem gebratenen Fisch und der

Weitere Kostenlose Bücher